Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0043

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bom tzeute fürs Morgen

Kraft zur Schicksalsgestal-
tung

u Anfang des Krieges hörte man
nicht selten etwas wie Iubel über
eine Erlösung vom Sinnlosen, Un«
gestalten, zerstreut Auseinander-
fließenden des modernen Lebens
durch diesen einigenden Krieg. Es
waren nicht die Stimmen der
Schlechtesten, denn es waren die,
welche Sinn wollten, mit Sehnsucht
nach ihm ausschauten; es waren
vielleicht auch nicht die Besten;
denn es waren die, welche sehr
tiefe und zusammenzwingende Auf-
rüttelungen brauchten, um das Her-
annahen eines Sinns im Weltleben
zu empfinden.

Es gab und gibt andre, welchen
der Krieg eher den Sinn des Lebens
zu nehmen schien, weil er aus
ihrem Leben den Sinn nahm, den
sie selbst hineingelegt und hinein-
gearbeitet hatten, indem er sie in
einen ihnen fremden und sie will-
kürlich anmutenden Zweckzusammen-
hang stellte. Sie hatten vielleicht
alle ihre Gedanken angespannt auf
bestimmte weitsehende Probleme ge-
richtet, deren Lösung sie sich nahe
fühlten, — jetzt sollten sie mitten-
drin alles aufgeben, alle lang vor-
bereiteten Vorarbeiten versinken
sehen, um ein für sie vollkommen
ödes und leeres Kasernen- und Gra-
bendasein zu beginnen, bis zur
äußersten Ermüdung erfüllt mit
Mchtigkeiten.

Wir sind noch nicht so weit von
den Zeiten des Kampfs aller gegen
alle entfernt, daß der Kriegszustand
etwas völlig Fremdes für uns ge«
worden wäre, andern Gesetzen ge-
horchend als der Zustand des Frie-
bens; die meisten Probleme des
Kriegslebens kommen in irgend

ähnlicher, nur abgewandelter Form
auch im Friedensdasein vor. Goethe
hatte allen Zuständen gegenüber,
die ihn zu verwirren oder sonst zu
schädigen drohten, das eine tzaupt«
gegenmittel: ihnen mit Tätigkeit
entgegenzutreten, sie gewissermaßen
durch Tätigkeit zu zerlegen und so
geteilt und unschädlich in die tzand
zu bekommen. Er konnte sie dann
zu etwas ihm Gemäßen, Verwand-
ten umgestalten und so sich anglie-
dern und ertragen.

Das Schicksal bietet oft genug,
auch in allem schönsten Frieden,
Zustände, die schlechthin ohne Be-
ziehung zu uns zu sein scheinen,
uns fremd und leer gegenübertreten.
Wir sind lebendige Menschen mit
warmen Gemütsbedürfnissen; jene
Dinge sind kalt, Lot, fremd. Dies
ist vor allem zu überwinden. Sie
scheinen mit harten unlebendigen,
metallenen Kanten gegen unser be-
wegsames Fleisch zu stoßen. Sie
haben sozusagen einen andern
Rhythmus in sich als wir: immer-
fort treffen sie hart und feindlich
auf uns. Das Allerwichtigste wäre,
den gemeinsamen Bewegungsrhyth-
mus zu entdecken, dem sie gleicher-
weise wie wir gehorchen, den Gene-
ralnenner zwischen uns und ihnen.
Sind sie nichts als tote mechanische
Dinge, so ist freilich nicht zu hel-
fen. Aber sind sie nichts andres?
könnten sie nicht etwas andres sein?
Wir hatten doch auch sonst mit me-
chanischen Dingen genugsam zu tun,
ohne daß sie uns störten. Da waren
sie Werkzeuge in unsrer oder be-
freundeter tzand, Dinge, die einen
Sinn hatten, einen Menschensinn.
Und wir ahnen: wenn wir diesen
Menschensinn wahrnehmen oder
spüren könnten hinter jenen Din-
gen, deren tote Fremdheit auf uns

27
 
Annotationen