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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1917)
DOI Artikel:
Herter, Hans: Zur Frage der Einheitsschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0310

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Zur Frage der Einheitschule

s ist für die innere Organisation unsres öffentlichen Lebens bezeich--
U^I^nend, daß die gesellschaftlichen Lebensfragen nicht nach ihrem tat-
^^sächlichen Gewichte erörtert werden, sondern scheinbar oder wirklich
planlos, je nachdem eine Gruppe von Rednern oder Schreibern ihre Be-
sprechung aufdrängt. So wird heute ein ungeheurer Teil der Aufmerk«
samkeit und Kraft des preußischen Volkes für die Frage der Wahl-
rechtsreform in Anspruch genommen, obwohl diese nur eine Teil-
frage und, im Vergleich zu der Ges amtfrage der „inneren Amgestaltung^
unsrer politischen Daseinsordnung, zweiten Ranges ist, diese Amgestaltung
selbst aber, die eigentliche „Veuorientierung", diese politische Lebensfrage
allerersten Ranges wird, weit weniger, weit ungeschickter und weit
planloser behandelt.^ Schärfer und einleuchLender tritt dergleichen noch
auf dem Gebiet der Schulpolitik hervor. Ls ist gelungen, einen erstaunlich
großen Teil der deutschen Öffentlichkeit mi,t der Teilfrage zu beschäftigen,
ob das Gymnasium etwas mehr oder weniger deutschen Anterricht in
seinen Lehrplan aufzunehmen habe und welche anderen Stoffe dagegen
gekürzt werden könnten. Dies geht so weit, daß das Wort Schulreform
für viele heute ungefähr gleichbedeutend ist mit: Ersetzung des Griechi»
schen durch das Deutsche auf den Gymnasien. And doch sagt, gegen diese
ganze Einstellung, Kerschensteiner (in der unten besprochenen Schrift) mit
vollem Recht: „Es ist eine beispiellose Verkennung von Hundert-, ja tausend-
fältigen Tatsachen, wenn man die Entwicklung des nationalen Gemein-
geistes von der Schulpflege der Muttersprache und der vaterländischen
Geschichte fast allein abhängig inachen will, wie es neuerdings einige
Germanisten tun.^ Kann man das aber nicht, so entfällt mit einem Schlage
ein großer Teil des Gewichts jener Frage, die so unglaublich viel zu
viel öffentlich erörtert wird. Es wLre nun sehr reizvoll und auch sehr
wichtig, die Gründe zu erforschen, weshalb gewisse ungeeignete Fragen
so leicht die öffentliche Aufmerksamkeit erobern, oder auch zu erörtern,
inwiefern verschiedene Fragen sich mehr oder weniger zur öffentlichen, all-
gemeinen Behandlung eignen. Ich habe jedoch auf diese Tatsache hier
nur deshalb hingewiesen, um eine Art Maßstab für das folgende anzu-
deuten: von allen Schulfragen scheint mir die dringendste, die wichtigste
und die zur öffentlichen Behandlung geeignetste die Einheitschulfrage zu
sein. In höherem Maße als von der Lösung irgendeiner anderen HLngt
von ihrer Lösung das Wohl und Wehe tzunderttausender, ja ohne Aber-
treibung: das Lebensschicksal so mancher Million von Volksgenossen ab
— und damit ist mittelbar alles gesagt! Es kann gar keine Entscheidung
solcher Art geben, die nicht für ungefähr alle Zweige der Kultur, des po-
litischen, des öffentlichen und privaten Lebens ihre große Bedeutung
hätte. Dies wird sogar der Gegner der Einheitschule theoretisch zuge-
stehen müssen. Trotz alledem hat es erst die Weltkriegszeit fertig ge-
bracht, diese alte Frage wieder einmal einigermaßen in das Bewußtsein
der Lebenden einzuhämmern. And selbst heute kann sie an wirklicher
„Aktualität", an Kraft, die Leidenschaft verschiedner gebildeter Kreise in
Atem zu halten, noch kaum wetteifern mit der — Fremdwörter-„Frage".

^ Vgl. bie Aufsätze „Das deutsche Volk und die Politik" und „Neuorien--
lierung" im zweiten Iauuar- und ersten Februarhest dieser Zeitschrift.

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