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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1917)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Der Poet im Griffelkünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0193

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Der Poet im Griffelkünstler

^^lingers Theorie ist der Schatten seines Schaffens. Rnd das erste,
H^was an diesem Schaffen seit seiner Reife sofort ins Auge siel, war
^^seine freie Selbständigkeit. Was etwa doch von Nach« und An«
empfundenem in den frühesten Werken noch wachsen sollte, wird schnell
ausgerottet: der reife Griffelkünstler Klinger ist aus eigenen Gnaden. Da
wird kein antikes, mittelalterliches oder modernes Schema für Schönheit
noch für Charakteristik vom Vordermann mit übernommen; das, was in
jedem einzelnen Falle der „Idee" des Vorwurfs am besten entspricht, gilt
allein als „Ideal^. Zur Probe auf seine Zulässigkeit wird nur die Na-
tur gefragt, wie sie sich dem äußeren oder dem inneren Auge, dem
Wachenden oder dem Träumenden zeigt. Von der Wirklichkeitsbeobach-
tung Klingers reden meisterliche Studienzeichnungen, — es ist nur eine
Folge der außerordentlichen Stärke inneren Schauens bei ihm, wenn
das in den Studien Dargestellte im fertigen Bilde umgestaltet erscheint.
And nicht eine Folge mangelhaften Könnens sind viele der bei Klinger
gerügten Zeichenfehler, sondern sie sind ^Mängel einer Tugend«, eines
Dranges, der hier über der tzauptsache Nebensächliches vernachlässigt und
dort nach neuen Möglichkeiten sucht.

Was die S ch ö nh eits auff assung in Klingers Griffelkunst anbe-
langt, so spricht seine landschaftliche Schönheit überzeugend wohl zu jedem
gebildeterr Auge. Mcht so unmittelbar zu allen redet seine Auffassung
der körperlichen Menschenschönheit, als deren glühender Bewunderer er
sich doch mit den Ausführungen über das Nackte in „Malerei und Zeich-
nung^ erweist. Denn: es fehlt seinen Gestalten die Hübschheit. Mcht
einmal bei Klingers Kindern kann einer sagen: „Nein, wie reizendSeine
Schönheit ist herb und iff die Schönheit der Kraft.

Die Arsprünglichkeit der Klingerschen Phantasie fällt schon beim
Ornamentalen auf. Schon nach ihrem linearen Schwunge und nach
der Eigenartigkeit im Gestalten von Zierformen gemessen steht Klingers
Ornamentik sehr hoch. Doch bleibt er schon hier selten stehn bei dem,
was allein dem körperlicheu Auge wohlgefällig ist, dem seelischen aber
nichts zu sagen hkt. Mau denke an seine Amrahmungen und Leisten zu
^Amor und Psyche^ oder an die Ornamentik bei den ^Rettungen^, um
sich der in ihrer Originalität Höchst mannigfaltigen Arten zu erinnern,
wie Klinger das Ornament mit dem tzauptbilde in Beziehung setzt, um
dessen Stimmung weiterklingen zu lassen, oder um über sein Thema mit
dem Stifte zu phantasieren. Rahmen, die nichts tun als begrenzen, sind
seine Amrahmungen nie, unbequemer wäre die Frage, tzb sie nicht manch-
mal zu vorlaut sind. Doch werden solche Gedanken wohl vor Gemälden,
nicht aber vor Griffelkunstblättern kommen.

Man kann das Klingersche Ornament, das sich durch alle Zwischew-
formen bis zum Bild im Bilde entwickelt, gewiß mit gutem Rechte geist-
reich nennen, auch wenn man mit diesem Worte im besondern die Fülle
und Leichtflüssigkeit gedanklich faßbarer Beziehungen bezeichnet. Ie mehr
aber Klinger bildmäßig Landschaft, Tier und Menschen behandelt, desto mehr
wird die Freude an einem Geistreichtum, dem man zusieht, noch über-
troffen von der am Vollgehalt eines hochbedeutenden Ichs, das man mit-
erlebt.
 
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