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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Avenarius, Ferdinand: Der Poet im Griffelkünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0194

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Das trrtt schon bei sernen Illustratronen zutage. Dre Aufgabe
erner wrrklrch künstlerischen Illustration ist ja nicht, aus einem Gedicht
diejenigen „Situationen" herauszugreifen und zu behandeln, die Vor«
würfe zu den nettesten „Bildern" geben, sondern das: den eigentlichen
Kern, die eigentliche Seele der Dichtungen voll zu umfassen und dann
mit zeichnerischen Mitteln Vorstellungen und Stimmungen zu erstreben,
wie der Poet sie erzeugt hat und wie sie nunmehr die Wirkung des
Poeten von der bildenden Kunst her ergänzen, bereichern, verstarken, ver»
tiesen können. Ein Beispiel aus der Brahms-Phantasie, „Am Sonntag«
morgen zierlich angetan". Ein schlechter Illustrator hätte vielleicht diese
zwei Bilder vorgeführt: „sie^, die „zierlich angetan" am Sonntagmorgen
mit einem andern Manne geht, und „ihn^, der einsam „die tzände wund
ringt^ oder doch wenigstens weint. Klinger führt uns mit genialer In-
tuition mitten ins tiefste Ethos der Sache. Noch wundersamer vielleicht
(um ganz in der Nähe zu bleiben:) bei der Allmersschen Feldeinsamkeit.
Der Liegende im Gras ist Illustration üblicher Art. Die beiden schlanken
Leisten nehmen genau dasselbe Thema, das hier gleichsam ungestaltet
am Boden liegt, auf und gestalten es phantastisch. Genau dasselbe Thema!

Man hat die Phantasie, die hierzu fähig war, „krankhast^ ge-
nannt. Die alte Erscheinung, daß man gern als minderwertig bezeichnet,
was als unverständlich befremdet. Wo ist „Pathologisches" in dieser
Kunst? Man hat auch von „Ideenflucht^ gesprochen, weil man diesen
Ideen nicht folgen konnte. So kühn und so reich Klingers Anschauungen,
ein klares Ethos hält jegliches Einzelwerk und jeglichen Zyklus strasf zu-
sammen, es hebt das Wesentliche hervor, es drängt das Nebensächliche
zurück, es ordnet, während beim kranken Menschen sowohl wie bei der
kranken Kunst die Geburten der Phantasie das Bewußtsein verwirren.
Der Irre, der tzysterische hält für Wirklichkeit, was sein waches Träumen
ihm zeigt, und wird in seinem Denken und tzandeln Diener dieses Träu-
mens. Klinger hat nirgendwo den .Spruch vergessen, der die Geister,
die er beschwört, nach ihrem Dienste entläßt. Wäre schließlich seine Phan--
tasietätigkeit, wie auch behauptet worden ist, mit der bekannten „reizbaren
Schwäche" der Neuropathiker verwandt, so würde sie irgendwo aufgelesene
und wenig verarbeitete Erinnerungsbilder kombinieren zu künstlerischen
Phrasen. Wo käme in Klingers Kunst je eine Phrase vor?

Nein, es ist dcks Schaffen nicht nur einer gesunden, sondern einer ganz
bewunderungswürdig gesunden, aber freilich weit übernormalen organi-
schen Kraft, was aus diesen Gebilden wirkt. Klingers Seher-Phantasie hat
nicht ihresgleichen in der deutschen Bildnerei bis zu Dürer zurück. Wo
fänden wir zum Beispiel eine Darstellung des Todes von einer Dämonie,
wie des winkenden Reiters im „Schicksalslied^ ? Wo eine Lhnlich über-
zeugende Amsetzung eines aus verwickelten Vorbedingunge» erwachsenen
Seelenzustandes in eine einfache, klare Anschauung, wie auf „And doch^
oder, ganz anderer Art, auf dem Blatte aus „Einer Liebe^, das das Er-
wachen aus dem Leidenschaftsrausche mit Traumsymbolik schildert? And
nicht nur für das Düstere, Schwere, ErschüLLernde, wir sind genug Be-
weisen dafür begegnet, daß diesem tzirn auch zur Vergeistigung des
Leichten und tzeitern der Quell mit Sprudelperlen schäumt.

Ihm dienen dann auch außer der eigentlichen Formgebung alls Mittel.
So das Mehr oder Minder im Durchführsn der Zeichnung,
 
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