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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Avenarius, Ferdinand: Der Poet im Griffelkünstler
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Hoffmann, Paul Theodor: Hermann Lotze: zu seinem 100. Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0197

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am Ziel seines Ganges mit einer vor ihm unerhörten Energie heraus.
Iene alltägliche furchtsame Kunst, die das Augeln mit den kleineren Werten
des Gefälligen und Schicklichen nicht lassen kann, auch wo sie vorgibt,
allein aus ihre höchsten Ziele zu blicken, zerbrach er für sein Gebiet. Lr
kennt keine Vogel-Strauß-Kunst, noch kennt er eine Umschleierung, wo
der Gedanke Nacktheit will, und wäre die Nacktheit häßlich oder er-
schreckend bis zum Entsetzlichen. Wundersam bezeichnend für das schwäch-
lich Verlogene der Durchschnitts-Kunstbetrachtung zu Zeiten seines Be-
ginns: daß man nicht gar selten vorwurfsvoll eben das an ihm sittlich
anstößig finden konnte, was Hervorgegangen war gerade aus seinem tiefen
sittlichen und deshalb auch künstlerischen Ernst. Nirgends bei ihm eine
Stelle, wo moralisch Verletzendes aus Freude daran gezeigt oder das
Medrige zum Edelgebornen umgelogen würde. Doch ein rücksichtsloses
Amstoßen aller Konventionen, wo sich's um das Lrzwingen reinigender
Erschütterungen handelt, eine Anerbittlichkeit, die nichts erspart, die an
nichts vorbeisehen läßt. Im ausgesprochensten Gegensatze zu den De-
kadenten, mit denen man ihn wohl auch zusammengeworfen hat, kennt
Klinger bei keinem ernsten Werke eine Herrschaft der subjektiven Laune.
Seine bedeutendsten Schöpfungen sind unübertreffliche Beispiele dafür,
daß sich auf den Gipfeln der Kunst Subjektivität und Objektivität am
innigsten durchdringen. Aus jedem dieser Gebilde spricht mit voller Klarheit
seine Persönlichkeit und spricht zugleich die unbedingte tzingebung
dieser Persönlichkeit an die mit allem Verantwortlichkeitsgefühl des großen
Menschen erlebte Sache. A

Hermann Lotze

Zu seinem 100. Geburtstage

^W^ie Werke und Taten großer Toter können auf zweierlei Weisen für
Idie Menschheit fortwirken: bewußt und unbewußt. Unbewußt so, daß
der Wellenschlag, den ihr Dasein im Geschehen aufwarf, weiterschwingt,
aber sein Rrsprung vergessen wird. Ieder Lebensmittelpunkt, Mensch,
Lier und Blume wirkt als Wellenzentrum, dessen Ringe werfende Wir-
kung in seinen Folgen nie aufgehoben werden kann — in dieser Art
Fortleben haben die großen Toten vor den gewöhnlichen Sterblichen nur
die wuchtigere Stärke des Wellenschlages voraus. Ganz anders, wenn
die Gestalt oder das Werk im Bewußtsein bleiben. Das unbewußte Fort-
wirken der Toten bildet den uns geschenkten Reichtum, was wir von ihnen
in unser Bewußtsein ziehen, bildet den erworbenen. Der ist ein anderer,
neuer Reichtum gegenüber dem geschenkten, und erregt auch neues Ge-
biet.

Wir wissen noch von Lotze, aber nicht so viel, wie er verdient. Es
ist still um den Meister geworden. Er selbst war ein Feiner und Stiller,
der von sich nicht viel Wesen machte. Und doch war er es, der gegen-
über dem flachen Materialismus einer Ieit, die sich an Büchners „Kraft
und Stoff" befriedigte, auf die Tiefen des deutschen Idealismus wies
und aus ihren Quellen dem kommenden Philosophengeschlechte vermit-
telte. Wie über ihn von Kant, Fichte und tzegel die Richtlinien zu den
Philosophen der Gegenwart führen, hat erst ein Iahr vor Kriegsausbruch
Richard Falkenberg nachgewiesen/ Dieser sein Schüler spricht sogar von

* Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik Band

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