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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Avenarius, Ferdinand: Der Poet im Griffelkünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0196

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wird das Begriffliche sofort ausgeläutert im Phantasiefeuer, und aus ihm
ersteigt) was hohle Allegorie gewesen, als gefüllte Gestalt. Doch hat das
Symbolische bei Klinger in den allermeisten Fällen mit der Reflexion
überhaupt nichts zu tun. Vischer erzählt einmal von einem Freund,
dessen Neigung zwischen zwei Schwestern geschwankt habe, die ihn beide
liebten. „In dieser Zeit träumte ihm, er finde einen Rosenstock, den eine
der Schwestern ihm geschenkt habe, verwelkt; er erschrickt, und rn diesem
Augenblicke sieht er die andere aus einer dunkeln Ecke des Zimmers her«
vorspringen und jubelnd in die tzände klatschen." Von solcher Art der
Symbolik ist das meiste bei Klinger: den Argründen eben wie im Traume
entstiegen, gefunden, ohne gesucht zu sein. Traumähnlich ist es erschaut,
oft traumhaft ist seine Wirkung, wie die der besten und echtesten reinen
Kunst ja so häufig. And man muß wenigstens unter Klingers ernsten
Werken die Blätter beinahe suchen, die Symbolik in diesem Sinne nicht
zeigten. Das Widmungsblatt an Böcklin zu „Einer. Liebe^, „An die
Schönheit", „And doch", „Mutter und Kind", „Llend" — man greife nur
die allerbekanntesten heraus: nicht die Angabe, daß sie sämtlich Symboli-
sches enthielten, würde hier entsprechen, nein: sie sind Symbole.

Das eigentliche Material der seelischen Kunst, die Stimmungen
sind bei Klinger, wie wir gesehen Haben, der allerverschiedensten Art.

Wir finden ihrer selbst von jener Gattung von Komik, für die der
Name „Alk" gut genug ist. Man müßte Bierzeitungen vergleichen, um
sür Klingers Auslassungen nach der Seite des Derbkomischen hin die
Grenze zu finden. Die Illustrationen zu den „Blüten aus dem Treibhause
der deutschen Lyrik", die „Rettungen Ovidischer Opfer^, der „tzandschuh",
einige der „radierten Skizzen" und Blätter aus den „Intermezzi" bringen
dann für Witz und Satire, für Scherz, Narretei und tzumor in allen
Mischungen Beispiele. In der Wirkung der steifen Schilfstengel auf edel
schönem tzintergrund einer Radierung zu „Rarziß und Lcho^ könnte man
sogar versucht sein, eine vielleicht neue Art von tzumor, „landschaftlichen
tzumor", zu suchen. Klinger dürfte denen, die in seinen ernsten Werken die
Anmut, die Grazie vermissen, mit dem tzinweis auf seine heiteren sagen:
Nun werdet ihr wohl glauben können, daß ich auf den düstern Bildern
jenes Leichte vermied, weil es mir nicht am Platze schien, nicht, weil ich
seiner nicht fähig wäre. Treiben doch auf jenen Blättern nicht nur die
derben Schalke aller Art ihr Wesen, sondern auch alle holden Geister des
feinen Liebreizes. Zwischen ihnen freilich auch ihre tzalbgeschwister, die
Dämonen des grausigen tzumors, die ja besonders bei den Totentänzen in
germanischen Landen stets mit aufspielen.

Sie leiten uns zu den düstern Gebilden Klingers über. Anseres Mei-
sters höchste Kunstbauten, Dome der Griffelkunst, bleiben seine tragischen.
Sie sind nicht bloß „Folgen", sie sind auch als Komposition kunstvoll mit
Leben sich füllende und sich steigernde Organismen. Seine großen Zyklen
„Eine Liebe", „Ein Leben" sind Dramen mit Expositionen, Verzögerungen,
Zwischenspielen (die ausnahmelos beleuchten), mit Entwicklung und
Abschluß, und selbst die alte Kette des Totentanzes schmiedete er zu einer
erzenen Tragödie des Menschentums um. Die Stimmung, die aus seinem
„Änd doch" spricht, ist so typisch die Stimmung der tragischen Lösung, daß
dieses Blatt an den tzöhepunkt jeder wahrhaft dichterischen Tragödie ge«
setzt werden könnte.

Dabei arbeitet Klinger das Traurige, das Dunkle sowohl am Wege wie

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