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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Jentsch, Carl: Was jungen Dichtern geraten werden sollte
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0099

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vertrautesten Freunden verraten kann, ohne sich zu schämen, wenn ,es
nämlich seine Gefühle sind und nicht gestohlene oder bloß anempfundene.
Und nun gar diese zarten und heiligen Gefühle, die Wunden und Wonnen
seines Herzens in Goldstücke oder Kassenscheine umsetzen müssen, damit
hausieren gehen müssen, um sie zu verhökern! Wie widerwärtig! Am
wieviel würdiger und freier ist die Stellung des Beamten, des Lehrers,
der für den Dienst, welchen er dem Gemeinwesen leistet, seinen standes-
gemäßen Lebensunterhalt empfängt und nicht nötig hat, sich den Anteil
seines tzerzens an der Lrfüllung der Dienstpflicht bezahlen zu lassen. Der
Lehrerstand ist aus mehreren Gründen der geeignetste für den Dichter,
hauptsächlich deswegen, weil der Lehrer zehn Wochen Ferien, also reichlich
Zeit zum Niederschreiben dessen hat, was sich in den Mußestunden der
Schulwochen in seinem Kopfe sammelt. Die Gefühle, die im tzerzen des
Lehrers die Ausübung seines Berufes hervorruft: die Liebe zu den
gdealen, die er den Seelen seiner Schüler einzupflanzen hat, und die
Liebe zu diesen Seelen sind wahrhaftig nicht weniger edel als die ge-
wöhnlichen GegenstLnde lyrischer Gedichte und jedenfalls edler und er-
Habener als die Grotik und Anakreontik. Und wenn es nun dem Lehrer
gelingt, seinen Gedanken den Ausdruck zu verleihen, der auf die tzerzen
seiner Schüler den tiefsten und nachhaltigsten Lindruck macht, wenn es
lhm gelingt, ihnen das volle Verständnis eines schwierigen mathematischen
Gegriffs, einer syntaktischen Regel zu erschließen, so wird seine Freude
darüber niemals von der häßlichen Erwägung beschmutzt: wieviel Mark
kann dir das bringen? Also, lieber junger Dichter, erniedrige deine
Göttin nicht zur Milchkuh. Die Kuh, die uns mit Butter versorgt, ist
ein sehr liebes und aller Ghren wertes Tier, und sie wird gegenwärtig
sehr hoch geschätzt, beinahe so hoch wie das am höchsten geschätzte unter
allen Geschöpfen, das Schwein, — aber die hohe, die Himmlische Göttin
ist sie nicht. Carl Ientsch

Vom tzeute fürs Morgen

Nach Karfreitag und Ostern

in phantasierendes Kind, dem
man zur Beruhigung sagte, das
Geängstigende, das es sich vorstelle,
sei Torheit, antwortete: „O nein,
sondern es ist so schrecklich, daß es
fast heilig ist.«

Diese Vorstellungsverbindung ist
sehr auffällig. Sie greift in das
innerste religiöse Geheimnis. Denn
alle religiöse Erfahrung ist im
Grunde da zu tzause, wo der Tod,
das Nichts und die Geburt ein
Gespräch miteinander haben, wo
Vernichtung und Schöpfung inein-
ander greifen. Das letzte Grauen,
das vor und Hinter uns allen liegt,
darin die einen den Tod, die an«

dern das Leben sehen, die einen
Leere und das Nichts, die andern
die Fülle und das All, jeder aber
das unbedingt Letzte und Außerste,
das, was in diesem Leben und
Sein sich gestalten will: der letzte
Sinn.

Es fehlen uns in diesen Dingen
die Worte, und die, welche sie einst
bezeichneten, sind durch langen Ge«
brauch glatt geschliffen und um
ihre Prägung gekommen. Es han>
delt sich aber um Sterben und
Werden, Nichtsein und Sein, Wahn
und Wirklichkeit, um das tiefe Ein-
schneiden und Durchschneiden bis
auf den Grund. Von diesem letz«
ten und, vom ruhigen tzinleben her
 
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