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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Jentsch, Carl: Was jungen Dichtern geraten werden sollte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0098

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vollzog sie sich, sondern mit dem Fallbeil und dem eisernen Vesen Na«
poleons, der in allen Frankreich benachbarten Landern das Anhaltbare
wegfegte. Wie Schiller und seine Freunde vor dem Medusenantlitze^
das statt des tzimmelsbildes der heiß ersehnten Freiheit, die Welt er«
schreckend, in Paris emporstieg, ihre tzäupter verhüllt haben, ist bekannt.
Wer gewirkt hat und heute noch wirkt, das ist nicht der FreiheiLsschwärmer,
sondern der Dichter Schiller. Die subjektive Kultur Luropas besteht
in einem Schatze von Ideen, Gefühlen und Grundsätzen, die durch ulle
Zeiten dieselben bleiben. tzat ein Volk die Stufe erklommen, auf der es
einer Schriftsprache bedarf, dann schenkt der Geist, der die Völkerge«
schicke leitet, ihm Genies, die zwei Leistungen zugleich vollbringen: einen
Dialekt der Volkssprache zur Schriftsprache vollenden, und in dieser Sprache
jene Ideen, Gefühle und Grundsätze so ausdrücken, daß sie dem Volke zu
klarem Bewußtsein kommen. Diese Männer sind seine Klassiker; alle
späteren Dichter sind, so lange die Sprache im Wesentlichen unverändert
bleibt, Epigonen, die nur ergänzen, weiter entfalten, variieren. Schiller
hat nun für jenen Inhalt die Form gefunden, die ihn der deutschen Iu»
gend am genießbarsten und verständlichsten macht und die begeistert. Das
ist sein unsterbliches Verdienst. Von den Ideen ist eine die Freiheit,
und wohl unserm Volke, wenn seine Iugend in der Aberzeugung auf-
wächst: der Mensch ist frei, und wär er in Ketten geboren. Daß unter
Freiheit die sittliche Freiheit zu verstehen ist, lehren Iesus, Paulus und
Kant; daß ein der inneren Freiheit angemessener äußerer Zustand er-
strebt werden muß, die individuelle, die bürgerliche Freiheit und die
Freiheit der Nation von fremdem Ioch nicht gering geschätzt werden
darf, versteht sich von selbst, aber die Geschichte der letzten anderthalb-
hundert Iahre und das politische Leben der Gegenwart lehren, daß nur
sehr genaue Einsicht in den jeweiligen Gesellschaftszustand den Gesetzgeber
khren kann, welche Lösungen und welche Bindungen hic et nunc ange-
zeigt sind. Wo die Freiheit als Paradestück herausgehängt wird, ist es
am schlechtesten um sie bestellt. Die Inquisition, gegen die Posa deklamiert
in einer Zeit, wo es nicht mehr nötig war, hat mit barbarischer Grau-
samkeit in Spanien die Glaubenseinheit aufrechterhalten und in den Nie-
derlanden wiederherzustellen versucht; sie verhinderte die Verbreitung von
Ansichten über Dinge, deren Existenz und Beschaffenheit nicht evident
gemacht, sondern nur geglaubt werden kann. Aber keinem Großinqui-
sitor und keinem Papste ist es jemals eingefallen, eine Tyrannei zu üben,
wie sie jetzt die in den Parlamentarismus verkleideten Diktatoren der
beiden Nationen zu wagen die Frechheit haben, die sich als die Banner-
träger der Freiheit gebärden^: sie fälschen evidente körperliche Tatsachen,
verheimlichen solche ihren Völkern, verhindern die Verbreitung dieser
Latsachen und zwingen die Presse ihrer Länder zum Lügen.

Die Erwähnung der individuellen Freiheit endlich lenkt den Blick auf
den Dichter zurück. Die unentbehrliche Grundlage der individuellen Frei-
heit ist ein gesichertes Einkommen. Das hat der Berufsdichter nicht
oder kann es nur durch schmähliche Abhängigkeit von der Gunst des
Publikums, der Verleger und Nedaktionen erwerben. Bei lyrischen Ge-
dichten ist meinem Empfinden nach schon die Veröffentlichung eine Pro-
fanation. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch zarte Gefühle andern als

^ Vrarrzosen und Engländer fassen übrigens die Freiheit ganz verschieden auf.
 
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