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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Jentsch, Carl: Was jungen Dichtern geraten werden sollte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0097

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Ehrerr gebracht hat. Aber manche junge Herren srnd so vernagelt, daß
sre auch dre edelsten Berufe, dre den Charakter ernes Drenstes an srch
tragen (gerade dreses adelt sre erst recht) verächtlrch frnden, vom Fesseln
an dre Staatskrrppe faseln und was derglerchen Nedensarten mehr srnd.
Mrt trefem Anwrllen muß es erfüllen, wenn so ein junger Mensch, der
frerwrllig den Beruf des Gymnasiallehrers erwählt hat, für dessen Stu«
dium seine Eltern Opfer gebracht haben, plötzlich abspringt, um „Dichter
zu werden^, und Abmahnungen gegenüber sich gebärdet, als werde ihm
ein Martyrium zugemutet. Wenn ein Künstler-- oder Forschergenie auf
den Schusterschemel festgebunden wird, so ist das ein Martyrium. Aber
die Ausübung des edelsten, schönsten, idealsten Berufes (höher als der
bildende Künstler, sagt Chrysostomus, steht der Pädagog, der lebendige
Bildsäulen schafft), der, weit entfernt davon, vom höchsten Geistesfluge
abzuhalten, zu ihm gerade auffordert, die ist für keinen vernünftigen
Menschen, der nicht ganz unfähig dafür ist, ein Martyrium. Die
SLaatsmänner der Karolinger, Ottonen und tzeinriche, sämtlich Kleriker,
haben, wenn sie sich aus dem Staatsdienstö zurückzogen, im Kloster Unter«
richt erteilt, Gerson, der spiritus rector des Konzils von Konstanz und
Leiter der europäischen Politik, hat, der Welthändel müde, in seinen letz-
ten Lebensjahren kleine Kinder unterwiesen; die edelsten Geister des
(8. Iahrhunderts haben die pädagogischen Probleme für die wichtigsten
gehalten, und Kant, Fichte, Hegel, tzerbart haben als tzauslehrer gewirkt.

Freilich handelt es sich nicht bloß um ein gesellschaftliches Vor«
urteil; auf das Gebiet der schönen Künste lockt der Nuhm, der weder dem
Schulmeister noch dem tzandwerksmeister winkt. Der Maler, der aus-
stellt, der Dichter, der seinen Namen etliche hundertmal gedruckt sieht,
hält sich darum schon für berühmt. Der tzeide nun mochte den Äach-
ruhm als das erstrebenswerteste Gut schätzen, der Christ weiß, daß der
Ruhm als gefährliche Zugabe zum gerechten Arbeitlohn höchstens mit
einigem Anbehagen Hingenommen, aber nicht begehrt, nicht erstrebt wer«
den darf. Diesen ihr kleines Ich zum Weltzentrum Hinaufschraubenden
jungen Leuten fehlt die CharakLerbildung, die dem Katholiken in den
ignatianischen Exerzitien, dem deutschen Protestanten in der Schule Kants,
beiden in der preußischen Kaserne zuteil wird, und sie gehören auch
nicht zu den schönen Seelen von Tells Art, der spricht: Der brave Mann
denkt an sich selbst zuletzt.

Mitunter mag sich die ruhmbegierige Selbstsucht in Menschenliebe
verkleiden. Ieder Sekundaner von Geist und tzerz ist Weltverbesserer.
Ich bin es auch gewesen, war jedoch gescheit genug, mich nicht lächerlich
zu machen, habe meine Pläne nebst andern Iugendeseleien nur meinem
Tagebuche anvertraut, das vor dem Abgange von der Schule vernichtet
wurde. Ber manchem phantasievollen Poeten mag die Sekundanerstimmung
bis ins Mannesalter vorhalten und die Einsicht verdunkeln, die dem heu-
tigen Studenten Geschichts-, Lebens- und Welterkenntnis schon durch die
Presse erschließen. In Schillers Zeit war's anders: die Kenntnis der
Weltgeschichte dürftig und ihre lehrreichen modernen Abschnitte noch gar
nicht geschehen, eine öffentliche Meinung so gut wie nicht vorhanden,
die Erörterungen politischer und sozialer Fragen in den Kreisen der Ge-
bildeten von aufregender, begeisternder Neuheit, die öffentlichen Zustande
endlich so unhaltbar, daß sie durch eine große Umwälzung umgestaltet
werden mußten. Aber nicht nach einem Programm von Philanthropen

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