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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 16 (2. Maiheft 1917)
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Hoffmann, Paul Theodor: Hermann Lotze: zu seinem 100. Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0198

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einer „Lotzerenaissance". Eine solche würde einrnal durch die Fachgelehr»
ten heraufgeführt werden können. A-ber der Wellenschlag der Lotzeschen
Persönlichkeit sollte nicht nur in fachphilosophischen Bezirken verlaufen.
Er hat die Kraftz unser deutsches Geistesleben auch unmittelbar anzu--
regen und zu befruchten.

Das spüren wir sofort, wenn wir ihm in jenem seiner Werke nach-
gehen, mit dem er unsre Welt zu umspannen suchte, im „Mikrokosmos".
Sein Mikrokosmos ist eines der Bücher, wie sie nur der Künstler und der
Philosoph zugleich schreiben kann. tzomer hat es einst in seinem Epos
ungewollt geschaffen: er hat den ganzen Pflanzgarten der Welt mit Erde,
Meer, Menschen, Getier und Sternenhimmel umschlossen. Platon hat in
der Politeia mit der Glut seines Eros das Erdenleben selbst als Staat
gestaltet. Während diese beide den ruhenden Pol ihres Schauens und
Schaffens auf der Erde hatten, war der Ausgangspunkt der mittelalter«
lichen Menschen der Himmel: Augustinus in seinem Gottesstaat und Dante
in seiner Divina Eomoedia schufen keinen Mikrokosmos mehr, sondern
einen Makrokosmos. Lrst die neue Zeit läßt den Menschen wieder von
der Erde aus sich umschauen. tzerder beginnt seine Ideen: „Rnsre Erde
ist ein Stern unter Sternen", aber wenn er mit dem tzimmel anfängt, so
geht er doch von der Erde aus. A.nd wie er beschränkt sich auch Lotze auf
den Mikrokosmos. Mit diesen flüchtigen tzindeutungen soll nur die
geistesgeschichtliche Lage angedeutet sein, die das Lotzesche Werk einnimmt
als ein würdiges Aebenstück zu dem tzerderschen. Freilich, den früh«
lingshaften Iauber der unbefangenen Entdeckerfreude konnte Lotze nicht
geben wie tzerder, der als erster die ganze weite Welt in das deutsche
Geistesreich hineinzog. And dann fehlte ihm noch eines, Falkenberg be-
zeichnet es als den „platonisch-fichteschen Charakter des kühnen Behauptens
und zur-Tat«Aufrufens". Lotze zeigt hier eine Eigenschaft, die vielen
langsam wachsenden Naturen eigen ist: Abneigung davor, etwas in dog-
matischer Formulierung abzuschließen. Sie war bei ihm nicht Skepsis
zersetzender Verneinung, nicht Zweifel der Schwäche, sondern die Ehr-
furcht des kindlich gebliebenen erwachsenen Geistes. Solche Menschen
werden nie Führer der großen Menge sein, die gerne auf kecke Schlag-
worte hört. Sie erschließen nur dem die WLrme ihres Wesens, der auf
sie eingeht. Den freilich führt Lotze gerade in den Fragen des Erden-
lebens, die uns heute bedrängen, ein gut Stück weiter.

Der Weltkrieg hat ein rasendes Abwandeln des Lebens gebracht. Wo
wir der raschen und nicht leicht entwirrbaren Folge von Tod und Meder-
lage, Sieg und Verlangen nach Neugestaltung nachspüren konnten, überall
stießen wir auf den durchgängigen mechanischen Kausalzusammenhang der
Dinge. Mit derselben mathematischen Genauigkeit, mit der die Flinten-
kugel den feindlichen Soldaten, die Granate das Festungsvorwerk trifft,
wirken Arsache und Folge im Wirtschaftsleben, in der Politik und im
irdischen Geschehen überhaupt. Wer daran ausschließlich denkt, mag leicht
an eine Mechanisierung des Lebens glauben, die für den Tieferen das
Leben sinnleer macht. Wie aber den kausalen Mechanismus überwinden?
Namentlich die tzalbgebildeten machen ihn selbst zum Götzen, über den
sie nicht hinwegblicken können. Ihnen kann Lotze zum Führer werden.
Was wir mit dem kausalen Mechanismus fassen, ist nur die äußere Ver-
knüpfung der Dinge. Aber diese hält das geistige Band der „inneren
Natur". And diese innere Natur läßt sich nicht mehr verstandesmäßig
 
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