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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 13 (1. Aprilheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0044

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lastet) einen gemeinsamen oder be-
freundeten Willen, so wären wir
über das Schlimmste hinaus.

Den meisten Menschen und ge-
rade den einfachsten scheint es nicht
allzu schwer zu sein, diesen be-
freundeten Willen zu verspüren.
Die warme Begeisterung des An-
fangs hat es auch anderen erleich«
tert, ihn zu finden. „Das Vater-
land^, das doch jedem wie eine Ge-
meinschaft eng mit uns und unter-
einander verbundener Willen, Ge-
müter, tzoffnungen vorschwebt, gab
die menschlich sinnvolle Verbindung.
Ls hat sich im Grunde daran nichts
geändert. Nur daß das andre im
Bewußtsein stärker aufgewacht ist:
der Wahnsinn dieses unablässigen
Vernichtens und Sichzerfleischens.
Das macht es schwerer, unliebe und
unser eigentliches Leben zerstörende
Tätigkeiten mit unsrer persönlichen
Wärme zu erfüllen und so uns an-
zueignen. ^

ind nicht eigentlich jene unsre
alten Vorväter zu beneiden,
denen sich alles in eine so ein-
fache, doch reiche und gewaltige
Gestalt löste? Uns will es ja fast
grotesk vorkommen, aber was mußte
das für lebendige Menschen bedeu-
ten, wenn ihnen, während sie in
eine sinnlose Qual zu starren mein-
ten, das Gesamtdasein, in dem also
schlechthin alles, das stören könnte,
bereits mit drin ist, lebendig und
beweglich entgegentrat, eine begreif-
liche Gestalt mit menschlichen Sor-
gen und Zielen, den unsrigen ver-
gleichbar und an ihnen meßbar, wie
Sorgen eines Vaters, den die Kin-
der nicht durchschauen, doch mit Ver-
trauen sich überordnen. Da hatte
alles, was jemals in der Welt ge«
schehen war, seinen Platz; denn diese
Gestalt hatte Vergangenheit und
Zukunft und beherrschte das Raum«
all. Alles war in ihrer tzand, alles
bedacht und geordnet; auch der

kleinste Gram, den der Mensch
haben konnte.

Wenn wir uns recht bedenken,
so geht alles, was wir uns vor-
stellen möchten, um das Leben aus-
halten zu können, wohl auch heute
noch diese Bahn. Instinktiv im
tzalbbewußtsein, ist es wohl einfach
noch dieselbe Gestalt. Im wachen
Nachdenken scheint sie sich nicht
mehr halten zu können; es ist, als
könne sie in der begrifflich zersetz-
ten Luft des modernen Vorstellens
nicht leiben. Als sei es ihr da zu
chemisch. Da geht sie uns denn in
die mehr begrifflichen Formulie«
rungen über, wie Weltentwicklung,
Sinn, Erfülltsein. Die tzauptsache
ist immer, uns nichts Leeres vor-
stellen zu brauchen, das dann noch
so schön mit Naturgesetzen aus-
tapeziert sei: die haben keine Ver-
bindung mit uns.

G

ber kehren wir zurück. Die Tä-
tigkeit, die Goethe dem Verwir-
renden entgegensetzte, scheint von
selbst gegeben in jenen Zuständen,
von denen wir sprachen. Sie ist
höchstens in zu großem Ausmaße
gegeben: „man kommt nicht zur Be-
sinnung". Sie ist also nur ein Tun,
keine Tätigkeit im Goetheschen
Sinn. Sie hat deshalb auch nicht
die Kraft, das Feindliche, Verwir-
rende, Lastende, durch seine Leer-
heit Bedrückende sinnvoll zu zer-
teilen und als mit Sinn Erfülltes
neu zu gestalten. Erst dieses ge-
staltete und gestaltende Tun wäre
ja Tätigkeit. Es fehlt die innere
Verbindung, die das Tun zur Tä-
tigkeit macht. Sie müßte schon da
sein, so daß alles Fremde, sobald
es in die Atmosphäre eines solchen
Menschen einträte, sofort in Ver-
wandtes, Gewolltes umschlagen
müßte. Eine große innere Wärme
und entgegenkommende Sympathie
zu allem Dasein und Geschehen

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