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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 15 (1. Maiheft 1917)
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Marsop, Paul: Hans von Bülow und Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0134

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mit verblitzenden Behauptungen um sich wirft, ohne für all das mit seinem
Namen einzutreten, wie nennen wir den? Lin mildernder Amstand ware
für den Verfasser selbigen Vorwortes allenfalls geltend zu machen: seine
Anmerkungen über Musiker und Dichter sind so verwaschen und nichts-
sagend, seine Geistessprünge so grotesk, seine Schreibweise ist hier so kind-
lich, dort so verworren, daß man auf eine krankhafte seelische Verfassung
zu schließen sich versucht fühlt. —

„Der edle tzans von Bronsart, der rechtschaffene Ioachim Raff, der
liebenswürdig begabte Peter Cornelius." So steht es da. Bronsart war
ehrlich und wohlwollend, doch nur eine gepflegtere Dutzendnatur, der
Bestgescheitelte unter den Zukunftsmusikern, gern gebend, aber nicht hin-
gebend; Raff wuchs dagegen weit über das Bürgerlich-Rechtschaffene hin-
aus und wurde, nicht nur Franz Liszt gegenüber, zum Musterbilde eines
sich mit seinem ganzen Sein und Können selbstlos einsetzenden Freun-
des — darin Bülow nicht unverwandt. Peter Cornelius mit der Ara-
beske „liebenswürdig begabt" abzufinden, ist unerhört oberflächlich. tzat
denn der Angenannte keine Ahnung davon, daß die „Brautlieder" des
Cornelius, daß die Liebesszene seines „Barbiers von Bagdad^, daß die
Trauermusik in seinem „Cid" zum Keuschesten, wundersam Tiefsten, das
deutsche Lyrik je hervorbrachte, gehören? tzände weg, ihr Dilettanten,
ihr Anmusikalischen! Unmusikalisch ist unser Vorwortschreiber wie, höflich
ausgedrückt, ein Stück tzolz. Man höre, welche Weisheit er über das
Verhältnis Bülows zur Tonsprache von Iohannes Brahms auskramt!
„Was ihn hier fesselte, war vor allem die nach außen gekehrte, mit dem
bei ihm so hervorragend ausgebildeten Verstandesvermögen zu erfassende
Seite der Musik, wie denn auch sein berühmter Ausspruch: im Anfang
war der Rhythmus, bezeugt, worauf es ihm hauptsächlich ankam." So
viele Worte, so viel Ansinn. Vorab: Bülow erfaßte — man mußte gegen-
wärtig sein, sei es, wenn er eine verwickelte Partitur, sei es, wenn er
einen Straußischen Walzer zum erstenmale durchging — jedwede Musik
von Gehalt als unvergleichliches Genie der Intuition durchaus mit tzerz
und Phantasie. Sodann: man kann über den tzöhegrad der sich in der
Thematik, im Aufbau, in den Instrumentationsbildern Brahmsischer Sym«
phonien kundgebenden Crfindungskraft verschiedener Meinung sein. Doch
sich erdreisten, den Meister des „Schicksalsliedes^ als Verstandesmusiker
abzutun, vermag nur einer, dem es von Natur verwehrt ist, in Dichters
Lande zu gehen. Geradezu erschreckt steht man jedoch vor einer Beschränkt-
heit, die im Rhythmus, wie ihn Bülow verkörperte und als Erstes und
Letztes aller musikalischen Darstellung und Formgebung bezeichnete, ein
vorwiegend verstandesmäßig festgelegtes und beaufsichtigtes Vierviertel-
klopfen erblickt. Wer das tut, der stand dem Eroica-Dirigenten gegen-
über wie der Indianer dem Flugschiff. Nhythmus war für den Meister
der heiße Atem, den er in das Kunstwerk einströmen ließ, um es zu
blühendem Leben zu erwecken, war ihm Schönheit, Architektur, aus Klar-
heit und Ebenmaß des Linienzuges, aus der liebevoll sorgsamen Aus-
rundung der Phrasen und der Gegenphrasen in plastischem, zart oder
kräftig belichtetem Auf- und Abschwellenlassen entwickelt. Sein Rhyth-
mus war seelenerfülltes, vom Geist durchleuchtetes Nachschaffen. Das
konnte das Hirn des Angenannten nicht fassen. Stets haftet er am
Außerlichen. „Wucht und Fülle lagen nicht in der künstlerischen Persön-
lichkeit Bülows, wie sie auch nicht in seiner physischen Gestalt zu finden

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