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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
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Slawitschek, Rudolf: Partei-, Stände- und Kulturpolitik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0081

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der sich konservativ nennt, weil er in der überwiegenden Mehrzahl der
politischen Leitsätze mit dieser Gruppe übereinstimmt, denkt doch in dem
einen oder dem andern Punkte liberal oder billigt sogar Anschaunngen
der Sozialdemokratie und umgekehrt. Nnn ist es aber ein Abelstand des
Parteiwesens, und meiner Ansicht nach der größte, daß jeder Partei-
angehörige zwar, da das Denken bekanntlich nicht verboten ist, hinsichtlich
einzelner Fragen anders denken darf, als die einmal festgelegte Partei-»
richtung vorschreibt, daß er aber diese Gedanken nicht äußern und nicht
vertreten darf, ohne mit seiner Partei zu zerfallen. In dieser Tatsache
liegt die schwerste Beschränkung der politischen Freiheit des (Linzelnen,
in ihr liegt aber auch der Grund für die sonst unüberbrückbar scheinenden
Gegensätze zwischen den Parteien. Könnte dieser Abelstand beseitigt wer»
den, dann wären die Zusammenhänge und Abergänge zwischen den Par-
teien aufgedeckt und für die politische Arbeit nutzbar gemacht. Dann
könnte jeder Staatsbürger aber auch wirklich für seinen Teil versuchen,
„das Richtige und Vernünftige zu finden^.

Wie könnte das möglich gemacht werden?

Für den Deutschen sind Parteien und Programme zusammenhängende
Begriffe, er kann sich eine Partei nicht ohne ein bestimmtes Programm
vorstellen. Unter einem politischen Programm aber denken wir uns eine
möglichst lückenlose Zusammenstellung der leitenden Gesichtspunkte für alle
Gebiete des politischen Lebens. Daneben haben einige große Vereini»
gungen wie der Bund der Landwirte, der tzansabund und der Bauernbund
Sonderprogramme aufgestellt und vertreten, die sich in der tzauptsache
auf wirtschaftliche Fragen beschränken. Diese Sonderprogramme haben
außerhalb der betreffenden Kreise im allgemeinen keine sehr günstige
Aufnahme gefunden, man sieht in ihnen vielfach Dokumente der Feind-
seligkeit gegenüber den andern Berufsklassen. Im übrigen sind diese
Vereinigungen von der Parteipolitik nichts weniger als unabhängig —
man denke nur daran, daß innerhalb eines Standes dem konservativen
Bund der Landwirte die nationalliberale Gründung des Bauernbundes
gegenübersteht. Immerhin versuchen diese Programme nicht einen Zu-
sammenhang zwischen allen politischen Problemen zu schaffen, sondern
beschränken sich in der Hauptsache auf ein Sondergebiet. Darin liegt der
gesunde Kern dieser Programme, der sich noch weiter verwerten läßt.
Daß ihr Inhalt von anderen Berufsklassen als Gehässigkeit empfunden
wird, liegt gewiß an einer Schärfe der Tonart, mit welcher sie zum 'Teil
ihre Forderungen vorbringen und die sich wohl vermeiden ließe. Diese
Empfindung haben aber am stärksten jene Stände, welche mangels einer
auch nur annähernd gleichwertigen Organisation sich gegenüber einem
solchen einseitigen Standesprogramm wehrlos fühlen.

Diese heute noch geltenden Verhältnisse werden jedoch durch den Krieg
voraussichtlich eine wesentliche Veränderung erfahren. Es sind zu viele der
bisher selbstverständlichen Voraussetzungen des gesamten politischen Den«
kens verändert worden, als daß wir weiter auslangen könnten mit den
bisherigen politischen Zielsetzungen, als welche doch alle diese Programme
erscheinen. Das wird alle politischen Parteien zu einer Liefgehenden
Aberprüfung ihrer Programme zwingen. Aber sie werden sich hüten,
damit allzusehr zu eilen aus dem vollkommen richtigen Bestreben heraus,
sich nur auf Grundsätze von dauerndem Wert festzulegen. Dazu brauchen
sie ein möglichst abgeschlossenes Tatsachenmaterial, einen möglichst klaren

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