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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 14 (2. Aprilheft 1917)
DOI Artikel:
Lembke, Fr.: Wohlfahrtsarbeit im Landvolk
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0089

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auf das Land zu übertragen. In der Stadt mag es vielleicht richtig sein,
der Frau einen besonderen Beruf neben dem der Hausfrau und Mutter
zu verschaffen, auf dem Lande dagegen ist es notwendig, die einzelne
tzauswirtschaft so zu gestalten, daß die Frau sich haushaltend und produ»
zierend ganz ihr hingeben kann. Man muß sie loslösen von der er»
werbenden Lohnarbeit und sie ganz dem tzause geben.

Es wird noch vieler Arbeit bedürfen, um die besonderen Aufgaben
der ländlichen Volksarbeit genau zu umreißen und ihre Unterschiede
von der stadtischen festzulegen. tzier soll nur das Grundsätzliche angedeutet
werden; tzauptsache soll hier sein, auf die Eigenart der ländlichen Volks»
wohlfahrtsarbeit in ihrer Durchführbarkeit und Durchführung hinzuweisen.

Der Erfolg jeder Wohlfahrtsarbeit hängt zum größten Leile davon
ab, daß man ihre Notwendigkeit oder ihre Zweckmäßigkeit weiteren Volks-
kreisen zum Bewußtsein bringt. Wohl ist es tatkräftigen Personen mög»
lich, auch ohne diese Voraussetzung erfolgreich ihr Werk zu beginnen,
der Bestand hängt aber immer davon ab, daß man dann wenigstens
nachträglich die Bevölkerung innerlich gewinnt. In den großen Städten
ist diese Werbe- und Aufklärungsarbeit durchweg auf die führenden Kreise,
insbesondere auf die Stadtverwaltungen gerichtet. Auf dem Lande hebt
sich die Gemeindevertretung kaum von der Bevölkerung ab, und oft genug
halten sich die eigentlichen Führenden bewußt im tzintergrunde. Im
Dorfe muß deswegen oft um jede einzelne Person geworben werden. Des-
wegen versagen Flugblätter, Zeitungsaufsätze, Volksversammlungen und
ähnliche Mittel städtischer Werbeart, wenigstens so, wie man sie bisher
anwandte, im Dorfe fast ganzlich. Trotzdem verläßt man sich oft allein
auf solche Mittel. Dabei arbeitet man auch durchweg mit Gedankew-
gängen, die ihren städtischen Arsprung kaum verhüllen. Dabei steht die
große Mehrheit auf dem Lande den Bestrebungen, für die man wirbt, voll-
ständig verständnislos gegenüber. Mancher Widerstand, den ländliche Kreise
in den Parlamenten der Volksarbeit entgegensetzen, findet hierin seine
Erklärung.

Erschwert wird die ländliche Werbearbeit weiter dadurch, daß ihr Träger
in der Regel nur eine Person sein kann, die im Dorfe selbst wohnt oder
doch dort einen gewissen persönlichen Rückhalt findet. So stellt diese
Arbeit in ihrer Gesamtheit eine Riesenanforderung an Werbekraft, die
dadurch noch vergrößert wird, daß in jedem Dorfe nur ganz wenig Per«
sonen da sind, die sich überhaupt dafür eignen. Dazu kommt die Neigung
des Dörflers zum anschaulichen Denken, die sich abstrakt-theoretischer Be«
weisführung fast ganz verschließt. And endlich das Festhalten am Alten:
unsere Großväter haben das nicht gehabt, folglich brauchen wir's auch
nicht. Im Dorfe ist jedes tzaus eine Burg, die erobert
werden muß. And die Zahl der Anstürmenden ist gering und dünn.
So erlahmt ihr Mut oft, und er kann sich selten an dem eines nahen
Kameraden neu beleben.

Die dünne ländliche Besiedelung bietet ein tzindernis, das auch nicht
annähernd genügend beachtet wird. Wenn jemand in einer Millionen-
stadt eins vom tzundert der Bevölkerung für die Errichtung von Kinder-
horten gewinnt, so kann er, gestützt auf ^0 000 Personen, eine ganze
Neihe von tzorten rns Leben rufen. In einem Dorfe von 300 Ein»
wohnern reicht der gleiche tzundertsatz kaum für einen regelmäßig tagen--
den Skatklub.

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