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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1917)
DOI Artikel:
Schumacher, Fritz: Was ist "Stil"?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0243

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Das Gesetzmäßige kann aber auch in etwas ganz anderem liegen, —
nicht in Geschmackseigentümlichkeiten einer Epoche, sondern in den Eigen-»
tümlichkeiten eines Materials. Das Gitter kann aus Messing oder aus
Eisen sein; ist es in Messing so behandelt, als ob es aus Eisen wäre,
oder umgekehrt, so werden wir den Stil der Arbeit verfehlt finden oder
ihr das richtige Stilgefühl absprechen, wenn auch alle Formen getreu und
echt der Zeit-Epoche entsprechen, aus welcher das Gitter stammt. Wir
bezeichnen mit dem gleichen Worte „Stil" etwas völlig anderes, weil wir
von einer Gesetzmäßigkeit reden, die sich auf etwas anderes bezieht. Wir
sprechen von etwas geradezu Entgegengesetztem, denn das Eigentümliche
des Geschmacksstiles liegt in unaufhörlichen, nie stillstehenden Wand-
lungen, und das Eigentümliche des Materialstiles in Gesichtspunkten, die
unwandelbar fest und unverrückbar von Iahrtausend zu Iahrtausend be-
stehen bleiben. And über berde sprechen wir ganz richtig mit dem gleichen
Worte „Stil". Wir müssen uns nur bewußt werden, daß dieses Wort an
sich noch nrchts Bestimmtes bedeutet, sondern erst dadurch zu einer Bedeu»
Lung kommt, daß wir klar erkennen lassen, worauf die Gesetzmäßigkeit, von
der wir sprechen, oder die wir verlangen, sich bezieht.

Das ist besonders nötig, da die Verwirrung in der eigentlichen Be-
deutung des Begriffs nicht allein durch diese Doppeldeutigkeit von Zeit-
stil und Materialstil im täglichen Sprachgebrauch entstehen kann, sondern
dadurch noch verwickelter wird, weil wir nun, abgesehen von diesem leichter
faßbaren Inhalt, auch von Stil sprechen können im Zusammenhang mit
dem Namen einer bestimmten Persönlichkeit. Ich kann vom Stil des
Donatello reden, ohne dabei an die Zeit-Epoche dieses Mannes zu denken,
oder an die Material-Behandlung, die er seinen Werken zuteil werden
läßt. Die innere Gesetzmäßigkeit, auf die ich damit hindeute, kann sich
eben außer auf eine Zeit-Epoche, oder eine Material-Behandlung, auch
noch auf etwas anderes beziehen, nämlich auf die Eigentümlichkeit einer
Persönlichkeit, und wenn wir diese Beziehung mit Stil bezeichnen, sprechen
wir wieder von etwas, das aus einer ganz anderen Gefühls- und Be«
obachtungsreihe als Endurteil hervorgeht.

Wir setzen damit voraus, daß wir von einem Menschen oder den Werken
eines Menschen reden, der die Kraft einer eigenen, inneren Gesetzmäßig-
keit seines Wesens besitzt; diese können wir nur empfinden, nicht in
sichere Regeln fassen, und so sprechen wir meist von Gefühlswerten, wenn
wir diesen persönlichen Stil meinen, den ein Werk besitzen kann. Wir
bezeichnen damit etwas, das dem ersten SLil-Begriff, dem Zeit-Stil, eben-
falls völlig entgegengesetzt ist. Ie mehr ein Werk die Kennzeichen einer
ganzen Epoche in sich trägt, um so weniger tritt die Sonder-Gesetzmäßig-
keit eines Einzelnen hervor, und je mehr die Persönlichkeit ihrem Werk
ihren Stempel aufdrückt, um so unabhängiger steht es gegenüber den
wechselnden Schwankungen einer Zeit. In einem völlig ausgereiften Kunst-
werk sind aber trotzdem in verschiedener Art der Mischung alle diese
drei verschiedenen Stil-Begriffe vereint. Sie müssen vereinigt sein, denn
sie beziehen sich ja, genauer betrachtet, auf nichts anderes als auf die
Abhängigkeiten, unter denen jedes Geschaffene steht: die Abhängigkeit
vom Schaffenden selbst, vom Material, das er für sein Werk wählt, und
von der Zeit, in der er lebt. Versteht der Schaffende diese Abhängig-
keiten so zu meistern, daß sie dem Beschauenden erscheinen als unwandel-
bares Gesetz, so drückt dieser das aus, indem er von „SLil" im allgemeinen
 
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