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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 17 (1. Juniheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0280

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Kapital'st von dem Schopenhauer
oder Nietzsche oder Kierkegaard leb-
ten? Oder wovon bestreiten alle
Angehörigen der sogenannten freien
Berufe, alle nicht pensionsfahigen,
nicht beamteten Künstler oder Schrift-
steller ihre Krankheit-, Schwachheit-
und Altersjahre, als von dem unter
Harter Arbeit von ihnen ersparten
„nicht arbeitenden Kapital" ?

Was doch ein bequemes Schlag-
wort für Wunder wirkt! Beson-
ders zur Irreführung der Gegner.

Die kapitalistische Entwicklung hat
die Tendenz, alles ersparte Kapital
in arbeitendes zurückzuverwandeln.
Das ist der schreckliche Kreislauf, in
dem sie sich dreht und der Ruhe
entflieht, — eine furchtbare Ver-
körperung des Samsara der buddhi-
stischen Lehre, jenes aufs Nad der
Begierden geflochtenen Wirbels der
Erscheinungswelt. Zur Fratzenhaf-
tigkeit dieses ruhelosen Kreisens und
Kreißens gehört es, wie diese kapi-
talistische Entwicklung es versteht,
alle Begierden, die sie erweckt, und
, alle die entsetzlichen Ausnutzungs-
mittel, die sie anwendet, in heile
Moral umzukleiden, also daß der
schmutzige blutbespritzte Amtrieb in
Bürgertugend, Arbeitsamkeit und
Legalität strahlt wie die sich drehen-
den Sonnen unsrer „Monstre"feuer-
werke.

Es ist im großen wie im kleinen
dasselbe Gesetz. Wie diese kapitali-
stische Entwicklung in ihrer grotes-
kesten Entfaltung im Milliardär-
und Trustmagnatentum Englands
und Nordamerikas ahnungslose Völ-
ker zum Weißbluten für hohe Ideale
verurteilt, die niemand bestreitet,
und um die der Kampf gar nicht
geht, so hat sie im kleinen und
kleinsten diese so hochmoralisch klin-
gende Formel von der Verwerflich-
keit des „nichtarbeitenden Kapitals«
erfunden, in der denn alle einig
werden, ohne zu ahnen, daß dieses
„nicht arbeitende Kapital", solange

die kapitalistische Ordnung herrscht,
die einzigen Ruhemomente im sinn-
losen Treiben bietet.

Für diese Ruhepunkte sind die
Privatgalerien der Kunstfreunde und
die Sparvermögen unsrer Geistes»
arbeiter, die beide unsre kapital-
züchtenden Steuerkünstler so sehr
interessieren, gute Anschauungsbil-
der. Taufkirchner

Lebendes Recht ist Volks-
recht

m Kampfe gegen die Rechtserstar-
rung unsrer Zeit vor allem die
antiromanistische Spitze zu sehen,
wie Ernst Fuchs, erscheint mir schief
und einseitig. Die Ausbreitung
des Römerrechtes in Deutschland
war Ausdruck oder Index einer gei-
stigen Entwicklung, nicht ihre Wur-
zel. Wenn man Kleineres mit un-
endlich Größerem vergleichen darf:
Auch die „Rezeption" des Christen-
tums schlug in gewissem Sinne den
deutschen Geist in Ketten; sieht aber,
außerhalb einer verschwindend klei-
nen Gruppe von Äberstiegenen, je-
mand im Eindringen dieses „Fremd-
körpers^ eine dauernde Schädigung
deutschen Wesens? Ist der römische
Gehalt im heutigen mitteleuropäi-
schen Recht wirklich soviel stärker,
als der Anteil nationalen Geistes
im rezipierten römischen Rechte nach
jahrhundertelanger Angleichung?
Könnte man etwa das deutsche oder
österreichische Zivilgesetzbuch, von den
Nebengesetzen und vom Strafrechte
ganz abgesehen, einem chemischen
Scheidungsprozesse unterwerfen, so
würde bei allem römischen Gepräge
ein Aberschuß an echtem alten deut-
schen Rechtsgute Herauskommen.

Wer im Rechte nicht nur eines
der wichtigsten Kulturelemente, son-
dern auch eine der umfassendsten
Ausdrucksformen menschlicher Ge-
sittung erblickt, der wird die Fuchs-
sche Blickrichtung mit einfachem Hin-
weise auf das Strafrecht einerseits,

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