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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 18 (2. Juniheft 1917)
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Wolzogen, Hans von: Zum "Problem der Oper"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0301

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dem Kopfe des persönlichen Genies entsprungen, nun als dauerndes Denk»
mal seiner selbst in der Kunstgeschichte steht. Iedenfalls genügt es mir mit
unendlich vielen, wie es ist, und wir wünschen und erwarten uns dieser
Art nichts anderes und nicht mehr. Es ist Sache des kommenden Genies,
uns zu widerlegen; niemand kann dies vorher verkünden. Mir zwar
erscheint es mehr auf dem Gebiete des gesprochenen Dramas zu erwün--
schen, wo es Wichtigeres zu tun gibt. Innerhalb der abgeschlossenen
Form des musikalischen Dramas dürften sich wohl noch im dichte--
rischen Anteile allerlei Möglichkeiten ergeben, vornehmlich durch eine
Bevorzugung heiterer Stoffe, auch durch die schon angebahnte tzerab--
stimmung des großen Mythos zu Marchen und Volkssagen, welch letztere
besonders tragischer Vertiefung nicht zu entbehren braucht, wie Sieg-
fried Wagners Werke beweisen. Ob aber in der musikalischen Form etwa
am System der Leitmotive festgehalten oder mehr frei-symphonisch kom»
poniert werde, ist Sache der Begabung. Ein Musiker, welchem, wie Wagner,
die dichterische Gestaltenschau gegeben ist» wird eher des Leitmotives sich
bedienen; wer mehr, wie Mozart, dramatisches Gestaltungsgefühl besitzt»
wird seine eigene Ausdrucksform dafür finden. Wir dürfen es ruhig
abwarten, was unserer Kunst vergönnt sein wird. —

Wie es auch sei, die „Oper" wird daneben fortbestehen, solange Lieb«
haber für sie vorhanden sind. Nur das bleibt zu wünschen, daß das
musikalische Drama nicht „veropert" werde, oder daß die Oper nicht mit
allzu musikalisch--dramatischen „Allüren^ dahergespreizt komme. Es ge-
nügt völlig, daß ihre Liebhaber und Verfasser, unter dem Linflusse des
musikalischen Dramas, mehr Wert als früher auf einen einigermaßen ver-
nünftigen und theatralisch wirksamen Text legen. Anbedingt nötig zum
Wohlgefallen und Erfolg der Oper scheint dies jedoch nicht zu sein. Das
große Publikum wenigstens ist durch die „Operette" schon wieder ganz
daran gewöhnt worden, ein musikalisch zündendes Werk, wie die „Fleder-
maus^, ohne den geringsten Anstoß an die Albernheit des Textes, mit
gebührendem Entzücken dauernd hinzunehmen. Diese gewiß unkünstlerische
Gleichgültigkeit kommt auch schlechten Operntexten zugute, wenn nur sonst
der Musiker das Seine getan hat, um zu gefallen. Der alte „Irrtum",
die Verwechselung von Mittel und Zweck, die Wagner in der alten Oper
aufgedeckt hatte, ist also keineswegs ausgerottet worden. Der Zweck „Musik^
ist der Opernzweck geblieben, und das schadet der Oper nicht. Man hat sie
ja nicht, wie das musikalische Drama, unter dem ästhetischen Gesichtspunkt
der reinen künstlerischen Idee zu betrachten; sie bildet nicht mehr ein
Glied der KunstenLwickelung, sondern ist nur noch eine Theatersache,
und hat als solche ihren Wert und ihr Recht. Es laufen genug „Irr-
tümer" auch sonst noch in der Welt umher, und fast möchte man meinen,
sie brauche derer zum täglichen Leben. „Wahn! überall Wahn!^ Lassen
wir denn auch den Irrtum der Oper laufen und bekümmern wir uns nicht
darüber, daß das musikalische Drama nicht durch sein bloßes Dasein die
Oper erschlagen hat! Wenn auf einem Gartenbeete neben einem alten
Zwetschgenbaum, der jahrelang süße Früchte getragen hatte, durch gärt-
nerische Kunst ein junger Apfelbaum aufwächst, der die feinsten Calvillen
bringt: wird man den Zwetschgenbaum deshalb umhaun und nur noch
Calvillen speisen wollen? Sie können beide nebeneinander stehen bleiben;
das ändert nichts an der Tatsache, daß eben Calvillen Calvillen und
Zwetschgen Zwetschgen sind. —

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