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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,3.1917

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Heft 18 (2. Juniheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14297#0330

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oder mit Bier zu feiern? Wir er-
heben entschieden Linspruch und er-
warten, daß unsere Kirchenregierung,
der Württembergische Pfarrerverein
und alle Gemeindemitglieder, denen
Lhre Kirchenglocken lieb sind, sich
unserm Verlangen ans chließen:
Keine Glocken für Kupfergewinnung,
ehe nicht alle Braukessel verwendet
sind." ^

Drohnenarbeit

^N einer Provinzialstadt lebt eine
vOWitwe, die Schnittwaren ver-
kauft. Zu ihr kommen jeden Mo«
nat drei, vier junge Männer, mal
von diesem, mal von jenem Ge-
schäft, erzählen ihr eine Stunde
lang interessante und unterhaltende
Sachen aus der Großstadt, legen
ihr Muster vor, und sie entscheidet
sich, ob sie kauft oder nicht. Das
ist scheinbar ein Privatvergnügen.
Aber es entzieht uns Arbeit, und
insofern betrifft es uns. Es ist
nicht wirtschaftlich nötig, daß un«
gezählte schaffenskrästige Menschen
auf der Bahn liegen, um den Krrn-
den kleine Wege zu erleichtern, um
Einrichtungen zu ersetzen, die mit
ganz geringer Mühe und geringem
Aufwande hundertfach verbessert ge-
schaffen werden könnten.^

„Ieder dieser Verkäufer mußte
für drei oder vier solcher Besuche,
die er vor seinen Mitbewerbern
streng zu verbergen sucht, eine Reise
machen, welche die Ware verteuert
und seine Arbeitskraft für einen
Tag aufzehrt. Millionen von Ar-
beitstagen werden in jedem Iahre
durch sogenannte Geschäftsreisen
verloren, die erspart werden könn-
ten, wenn in jeder größeren Pro-
vinzialstadt ein gemeinsames Mu«
sterlager der Grossisten unterhalten
und von den Geschäftsleuten der
Amgegend zwei- oder dreimal im
Iahre besucht würve/'

Soweit Walther Rathenau
<Probleme der Friedenswirtschaft,

S. 38; Von kommenden Dingen,
S. (37). Man vergleiche damit fol-
gendes, was ein Hamburger Kauf»
mann, Max Rieck, in einer von
ihm herausgegebenen Fachzeitschrift
(Gordian, Zeitschrift für die Ka-
kao-, Schokoladen- und Zucker«
warenindustrie und für alle ver»
wandten Erwerbszweige, Februar-
heft kürzlich erzählt:

„Vor fünfunddreißig Iahren war
ich Reisender für eine angesehene
Dresdner Schokoladenfabrik. Ich
hatte Schlesien, Ost- und Westpreu-
ßen, Pommern, Mecklenburg, Schles-
wig-tzolstein und Thüringen zwei»
mal im Iahr zu besuchen und, als
Reisezweck, Schokoladen und Zucker»
waren zu verkaufen. Dreimal habe
ich diese Rundreise, die jedesmal
sechs Monate dauerte, nur gemacht;
das Reiseleben gefiel mir nicht,
und da ich eine kritisch angelegte
Ratur bin, kam mir meine Tätig»
keit auch sehr überflüssig vor. Meine
wirtschaftskritische Anlage erhielt in
Eisenach eines Tages eine starke
Befestigung. Als ich gegen (0 Ahr
morgens einen Kunden besuchte,
wurde ich mit den Worten empfan-
gen: »Sie sind heute schon der sechste
Schokoladenreisende. Allen kann man
nichts abkaufen; also das nächste
Mal haben Sie vielleicht mehr
Glück.« Ich stand da, nicht aufrecht
wie ein Mann, der rechtschaffen
arbeiten und einen nützlichen An-
teil an der Wirtschaftsarbeit des
Volkes nehmen will, sondern be-
drückt wie ein Bettler, der lästig ist.
Ich ging tieftraurig ins Gasthaus,
in den »Rautenkranz«. An der Mit»
tagstafel waren wir sieben Schoko-
ladenreisende; drei aus Dresden,
je einer aus Leipzig, Köln, Magde-
burg, Stuttgart. Ich kannte die
sechs Kollegen nicht, die lustig und
vergnügt waren; mir war nicht bloß
alle Eßlust, mir war auch alle Reise-
lust vergangen.

Warum, fragte ich mich, müssen
 
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