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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Rapp, Franz: Das deutsche Bühnenbild unserer Zeit: Betrachtungen zur Sondergruppe "Das deutsche Bühnenbild unserer Zeit" auf der Deutschen Gewerbeschau München 1922
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0136

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Kunst ist der Ausfluß ethischer Gesinnung. Die Inszenierung eines Dramas — wir sprechen hier nur
von der großen Kunst — hat den Sinn; seine Gültigkeit als Kunstwerk zu erweisen, die ethischen Werte
zu erproben. Jede Epoche liest aus den Kunstwerken die eigene Seele heraus, jede Generation sucht
in ihnen das Spiegelbild ihrer selbst. Wir sind aus der Romantik des Impressionismus in die Ekstase
des Expressionismus hinübergewachsen. Die Schaubühne begleitet diesen Verlauf.
Für den Bühnenmaler sind die Regieanweisungen des Autors die Grundlage der Szenengestaltung.
Die Meininger hatten den Nachdruck auf die kulturhistorische Treue in Kostüm und Dekoration ge-
legt, den Modernen ist darum zu tun, die Melodie der Dichtung bildnerisch zu contrapunktieren.
*
Betrachten wir nun die Bühnenbilder unserer Zeit, so erkennen wir zwei Pole der Gestaltung: den
malerischen und den architektonischen. Zwischen beiden alle Stufen der Vermischung.
Der Ursprung beider Formen liegt benachbart. 1906 gaben Eugen Kilian und Julius Klein der
Shakespeare-Bühne ein neues Gesicht. Die gemalten Bögen der ersten Fassung wurden durch archi-
tektonische Bauglieder ersetzt, die ganze Bühne in einen plastischen Raum verwandelt. 1908 schufen
Littmann und Erler das Münchener Künstlertheater mit der flachen Reliefbühne zwischen dem neutra-
len Proszenium, die Szene der malerisch-bildhaften Wirkung. Aus ihnen leiten alle späteren Lösungen
sich her. Die Beleuchtung hat in beiden Bühnenarten grundsätzliche Bedeutung. Architektur lebt im
harten konzentrierten Licht, zerstreutes Licht gibt malerische Werte. Das plastisch-statuarische Prinzip
steht dem farbig-zweidimensionalen Umriß gegenüber.
Je nach der Anwendung dieser oder jener Form könnten wir also heute Bühnenmaler und Bühnen-
architekten unterscheiden. Um diese Antithese an unserm Bildmaterial zu erläutern, betrachten wir
Emil Pirchans Inszenierung der „Josephslegende“ (Abbildung 9 und 1 o) und Robert Engels’ „Szene aus
Oberon“ (Abbildung 8).
Engels gibt als seitliche Abdeckung Türme mit vorsichtig angedeuteter maurischer Architektur, also
das neutrale Proszenium des Künstlertheaters. Als hintere Begrenzung der Szene eine Mauer, die sich
in einem Tore öffnet. Der Rundhorizont, hier als nächtlicher Sternenhimmel gestimmt, spannt sich
unendliche Weite gebend über das Bild. In der absichtlich eng umgrenzten Bühne wird das wogende
Leben parallel zum Zuschauer vorbeigedrängt, auch die durch das Tor eintretenden Personen werden
sofort in die gewollte Relief Wirkung hineingezogen.
Pirchan baut seine Szene in Terrassen unter Ausnützung der ganzen Bühnentiefe; Treppen senkrecht
zur Bühnenöffnung mit Abstufungen in ihrer Richtung. Es ist klar, die Entwicklung der Massen geht
von hinten nach vorn und umgekehrt tiefgliedrig in den Raum hinein, der aus den Zeltvorhängen den
Blick in ferne Wüstenlandschaft öffnet. Aber damit nicht genug: Die Tänzerpaare stehen in Lichtkegeln
aus Scheinwerfern, die losgelöst von der farbigen Stimmung der Szene ganz anaturalistische Sonder-
existenz führen. Das Licht selbst also wird gleichsam als raumbildende Substanz behandelt. Das Auge
des Zuschauers springt über dunkle Gründe von Lichtinsel zu Lichtinsel.
In diesen beiden Fällen handelt es sich um Operndekorationen, die gesprächiger sein dürfen, weil
das musikalisch-rhythmische Drama im wesentlichen Gefühlswerte auslöst.
Ganz anders beim Wortdrama mit seiner intellektuellen Forderung. Auch da kann man auf illusio-
nistische Verdeutlichung nicht immer verzichten. Das rein Stoffliche des Milieus muß in Kostüm und
Ausstattung klingen; der Osterspaziergang im „Faust l“ ist unmöglich vor grauen Wänden zu spielen,
das „Käthchen von Heilbronn“ ist nicht zeitlos zu stilisieren. Vorfrühlingsstimmung und gotische Ro-
mantik müssen auch im Bildmäßigen ein Organ finden. Der „Teil“ ist seiner Gebirgsnatur nicht zu

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