Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0039
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
kett aÄhängrg gemacht werden sollte. Die
Mitglieder zählten darum ihren hohen Bei-
trag gern im Vertrauen auf die schöne Alters-
hilfe. Das dicke Ende kam aber bald nach.
Da der GdA. aus mehreren Verbänden kauf-
männischer Angestellten entstanden ist, die
Über einen ansehnlichen Stamm älterer Mit-
glieder verfügten, so meldeten sich schon bald
viele Anspruchsberechtigte um Gewährung der
neuen Altersunterstützung. Und siehe da, jetzt
sog man Ausführungsbestimmungen hervor,
wonach nur diejenigen das Mtersgeld bean-
spruchen können, die stellen- und mittellos,
also bedürftig seien. Aus der mit so vielem
Tamtam in die Welt gesetzten Altershilfe war
eine ganz gewöhnliche Armenunterstützung ge-
worden. Kein Mitglied draußen im Lande
wußte etwas von diesen Ausführungsbestim-
mungen. Nach dem Geschäftsbericht des GdA.
für das Zahr 1928 sind allein in diesem Jahr
237 Anträge auf Gewährung der Altershilfe
abgelehnt worden, in einem ffalle sogar bei
einer Mitgliedschaft von 49 Jahren. Die Ab-
lehnung wird immer wieder begründet mit
dem Hinweis, daß die Einrichtung nur für in
Not befindliche Mitglieder gedacht sei. Von
den Mitgliedern aus dem Bergbau dürften
darum nur wenige das Altersgeld zu erwar-
ten haben. Tatsächlich befinden sich unter den
Zurückgewiesenen auch schon einige Beamten-
pensionäre der Knappschaft. In den Ableh-
nungsschreiben läßt man oft mit zynischer
NüHichtslosigkeit die Katze aus dem Sack. In
einem solchen Schreiben heißt es: „Ihre Auf-
fassung, daß es dem Bunde gleich sein müsse,
wie hoch die Einnahmen eines Mitgliedes sind,
welches Altershilfe bezieht, dürfte auf falsche
Voraussetzungen zurückzuführen sein. Es gibt
keine Versicherung in der Welt, die imstande
ist, bei einem monatlichen Beitrag bzw. einer
monatlichen Prämie von 5 RM. bei 25jähri-
ger Mitgliedschaft eine Rente von monatlich
öv RM. zu zahlen. Es ist also ganz natür-
lich, daß bei der Zahlung von Altershilfe die
Bedürfnisfrage geprüft werden muß. Die
Bundesbeiträge werden ja auch nicht nur für
die Altershilfe, sondern in der Hauptsache für
die gewerkschaftliche Arbeit des Bundes be-
zahlt." Man ist sich also von vornherein klar
darüber jgeivesen. daß die Einrichtung nur
eine Mrmeklunterstützung sein sollte, hat es den

Mitgliedern aber aus Opportunitätsgründen
verschwiegen. Das geht deutlich auch aus dem
Schreiben an einen änderest Antragsteller her-
vor Einem 72jährigen Herrn aus dem Berg-
bau, der sich die kaltschnäuzige Abweisung
nicht stillschweigend gefallen lassen wollte und
auf die marktschreierische Reklame des GdA.
für seine Altershilfe hinwies, gab man unter
Hinweis auf die bei ihm nicht vorhandene Be-
dürftigkeit zu verstehen, daß derBund doch für
den geleisteten Beitrag das Risiko für die vor-
gesehenen anderen Unterstützungseinrichtungen
-(Stellenffosenunterftützung) für ihn getragen
habe —? Als sich das alte Mitglied auch mit
dieser schönen Geste nicht zufrieden geben
wollte und eine etwas grobe Antwort darauf
gab, schrieb man ihm, daß man mit ihm nicht
mehr weiter korrespondiere, und man ihm,
wenn er nicht schon so alt sei, ganz anders
kommen werde.
So sieht die vielgepriesene Altershilfe des
GdA. aus. Wie hat man aber stets in Ent-
rüstung gemacht, wenn in Fragen der Sozial-
versicherung arbeitgeberseitiq nur das Wort
Bedürftigkeit laut wurde, so noch kürzlich bei
der Umstellung der Arbeitslosenversicherung.
Viels Mitglieder dieses Verbandes aus dem
Bergbau sind noch Vollmitglieder geblieben,
während sie schon Knappschaftspension bezie-
hen. Sie zahlen vor, ihrer Rente den hohen
Vollbeitrag von 5 RM. weiter im Vertrauen
auf die ihnen nach ihrer Ansicht später zuflie-
ßenden Altershilfe. Und der GdA. nimmt
mit aller Seelenruhe Liesen Leuten den hohen
Beitrag ab, obwohl er weiß, daß die über-
wiegende Mehrzahl von ihnen nie in den Ge-
nuß der Altershilfe kommen wird. Das ist
um so verurteilenswerter, als man für diese
alten invaliden Mitglieder auch gewerkschaft-
lich nichts mehr tun kann. Sie brauchen sich
vom GdA. „keine Gehälter mehr erkämpfen zu
lassen" und laufen auch nicht mehr Gefahr,
stellenlos zu werden. Ein solches Verhalten
ist echteste „Gewerkschaft".
In der Sozialversicherung mit den: Brust-
ton der Ueberzengung einen steten Kampf füh-
ren gegen die Bedürftigkeitsprüfung, diese
aber in der eigenen berufsständischen Selbst-
hilfe durchführen, ist jedenfalls das Höchste,
was an gewerkschaftlicher Demagogie geleistet
werden kann. B.

Zur Konjunkturlage.

Anzeichen der Besserung der Konjunktur
sind noch nicht zu erkennen. Die Gründe für
die dauernde Konjunkturschwäche find mannig-
faltigster Art.
Rein marktmäßig spielt z. B in der Schwer-
industrie eine erhebliche Rolle die Tatsache, daß
im Bergbau infolge des milden Wetters der
Absatz stark nachläßt, falls nicht noch eine län-
gere Frostperiode einsctzt, deren Eintritt aller-
dings jetzt kaum noch wahrscheinlich ist, geht
der Handel mit verhältnismäßig stark gefüll-
ten Lagern in den Sommern: die Folge wäre,
daß ein nicht unbeträchtlicher Teil des Handels
in Schwierigkeiten geriete und daß schon des-
halb mit einer besseren Marktlage vor Beginn
Les Herbstgeschäftes kaum gerechnet werden
könnte In der Eisenindustrie hat die Erneue-
rung der Verbände, von der man sich eine
starke Belebung versprach, nur vorübergehende,
verhältnismäßig geringfügige Wirkungen aus-
gelöst, ruel stärker bemerkbar macht sich die Zu-
rückhaltung so großer Verbraucher, wie z B.
des Schiffbaus, der Reichsbahn, der verarbei¬

tenden Industrie, des Baugewerbes usw., bei
denen nicht nur saisonmäßige Gründe, sondern
besonders auch, wie bei fast allen Gewerben,
die archaktenden Geld- und Kapitalschwierig-
keiten eine ausschlaggebende Nolle spielen Die
Verhältnisse in dem so überaus wichtigen
Schlüsselgewerbe der Landwrrtschaft mit ihren
vielen Ausstrahlungsmögtichkeiten sind so be-
kannt schlecht, daß wettere Ausführungen sich
erübrigen. Die verarbeitende Industrie leidet
in ihren Auslandsbeziehungen einerseits unter
Zollerröhungen, die noch letzthin u. a. in
Aegypten, Mexiko. Persien, auf dem Balkan,
in Australien usw. eingetreteu sind, anderer-
seits aber unter der starken Einfuhr aus den
niedervalutarischen Nachbarländern, die mit
verhältnismäßig geringen Erzeugungskostcn
arbeiten und die vielfach auch noch durch Aus-
fuhr Vergütungen ihrer Regierungen unterstützt
werden. Ganz allgemein wird von der verar-
beitenden Industrie im Jnlandsgeschäft über
Unterbietungen durch solche Firmen geklagt,
die unter dem Zwang der Beschaffung von Be¬

triebskapital um jeden Preis stehen, und unter
dem sehr schleppenden Zahlungseingang der
Kundschaft, bei der sich Wechselproteste, Kon-
kurie usw immer mehr häufen. Heber die Ka-
pital- und KreditLs'ichaifungsschwier:gkciten
wird auch in den Jndustr-en stark geklagt, die
an sich noch eine verhältnismäßig befriedigende
N ochs rag-: aufzuweisen haben: sie veranlassen
Erzeuger und Abnehmer zu nur kurzfristigen
und mengenmäßig beschränkten Dispositionen:
außer den bereits erwähnten Umständen spielt
hier auch noch eine Rolle die geschwächte Kauf-
kraft infolge der ungünstigen Arbeitsmarkt-
tage und der Zwang auf Niebrighaltuna der
Lagerdestände. Als Hauptursache der unbefrie-
digenden Konjunkturlage ist aber das psycholo-
gfich so außerordentlich schwerwiegende Mo-
ment der allgemeinen Unsicherheit und Unzu-
friedenheit über die augenblickliche und künf-
tig- Lage anzusehen, die jede Unternehmungs-
lust lähmen: irr Anbetracht der Enttäuschungen
über die Steuer- und Bnhntariferhöhungs-
pläne. die von den Gewerkschaften beabsichtig-
ten Forderungen, die Ungewißheit über die
Entwicklung der innerpoli'.-'ch-.-n Lage usw.
wird diese Lähmung eher zu- als abnehmen.
In welchen wirtschaftlichen Folgen alle diese
Vorgänge sich auswirken, zeigr besonders an-
schaulich die Entwicklung in der Maschinenin-
dustr-e, bet der die Jnlandsausträge im Jahre
1929 ( <927 100 gesetzt! aus 79 mrückoeaan-
gm sind
Linen der wenigen hoffnungsvollen Aus-
blicke aus dieser Situation eröffnet die - Dis-
kontermäßigung der Reichsbauk und die von
ihr erwartete Erleichterung der Geldmarkttage.
Die Verwirklichung dieser Hoffnungen wäre
natürlich durchaus erwünscht. Man darf aber
nicht versäumen, darauf hinzuweisen. Laß in-
folge der vielen Zusammenbrüche der letzten
Zeit mi. ihren unliebsamen Begleiterscheinun-
gen die Anforderungen an -dis Kreditsicherheit
der Eeldsuchenden mit Recht so groß geworden
sind, daß aus di es ein Grunde vermutlich nur ein
verhältnismäßig geringer Teil der geldsuchen-
den Firmen von einer etwa eintretendcn Geld-
erleichterung Gebrauch wird machen können.
Die l!vornehmen, die Geld Wirklich notwendig
brauchen, werden ihren Bedarf wahrscheinlich
nicht oder nur zum Teil decken können, wäh-
rend bei den Firmen, die den Sicherheitsanfor-
derungen entsprechen, der Bedarf vermutlich
nicht so dringend sein wird. Eine wesentliche
Aenderung wird also vermutlich nicht eintreten..
4

bedenkliche Steuersache.
Nach dem Finanzprogramm der Reichs-
regierung soll das Bier mit einem Steuer-
mchc von 80 Prozent herangezogen werden.
Da wir uns zur Zeit zweifellos in einer Peri-
ode des Konjunkturniederganges befinden, so
dürfte eine erhöhte Sonderbesteuerung des
Bieres nach aller Voraussicht zu einer Ver-
minderung des Absatzes führen. Infolge der
geschwächten Kaufkraft der breiten Verbrau-
cherschichten werden diese gezwungen sein, ent-
weder ihren Biergenuß oinzüschränken oder
ihren Verbrauch von anderen Waren zurückzu-
schrauben. In beiden Fällen wird der Scha-
den die Industrie und den Handel, namentlich
aber die ohnehin schwer um ihre Existenz rin-
genden i kleinen Brauereibetriebe treffen. Es
ist nämlich durchaus demagogisch und einseitig
gedacht, wenn in einer gewissen Presse immer
wieder auf die angeblich viel zu hohen Divi-
denden mancher Aktienbrauereien hingewiesen
wird. Denn die Großbrauereien stellen doch

nur einen Teil der deutschen Brauindustrie
dar. Im großen und ganzen ist Vas Brauge-
werbe auch heute noch ein Mittelstands-
gewerbe, das, namentlich in Süddeutschland,
eine sehr große Anzahl kleiner Gewerbetrei-
bender ernährt.
Nicht minder schwer würde der deutsche Ar-
beiter, der zweifellos der größte Vierkonsu-
ment ist, durch eine Biersteuererhöhung be-
troffen werden, i Denn es ist für das Budget
des Arbeiters von weittragender Bedeutung,
wenn er das Glas Vier infolge einer Steuer-
erhöhung mit einem Preisaufschlag von 5 Pfg.
und darüber hinaus bezahlen müßte.
Eine weitere Erhöhung der Diersteuer ist
jedoch nicht nur arbeiter- und mittelstands-
feindlich, sondern sie bringt auch eine Schädi-
gung desjenigen Berufsstandes mit sich, der
sich gegenwärtig ohnehin in einer besonderen
Notlage befindet, nämlich der Landwirt-
schaft. Nicht nur als Konsument, sondern
vor allem auch als Produzent würde der
Landibirt durch seine Biersteuererhöhung ge-
schädigt' werden. Das Braugewerbe bezieht
von der Lmrdwirtschaft nicht nur seine Roh-
stoffe, Gerste und Hopfen, sondern auch Pferde,
die zusammen den Wert von rund einer hal-
ben Milliarde RM. darstellen. Die Ertrags-
fähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe ist
in vielen deutschen Ländern und Provinzen
von dem Vorhandensein einer kaufkräftigen
und leistungsfähigen Brauindustrie wesentlich
abhängig. Ein Konsumrückgang des Bieres,
wenn auch nur um 10. v. H., würde für die
Landwirtschaft infolge verminderterNachfrage
nach Gerste und Hopfen einen Einnahmeaus-
fall von fast 80 Millionen RM zur Folge
haben.
Die Auswirkungen einer Biersteuererhö-
hung können demnach nicht ernst genug einge-
schätzt werden. Alls Erwerbsstände, Arbeiter,
Mittelstand und Landwirtschaft, rvürden durch
eine weitere Verschärfung der Biersteuer in
ihren wirtschaftlichen Lebensinteressen aufs
empfindlichste geschädigt werden. Es ist unter
diesen Umständen nur zu wünschen, daß der
Reichstag die Biersteuererhöhung unter allen
Umständen ablehnt Es gibt, wenn es wirk-
lich ohne neue Steuern nicht geht, noch, immer
Steuerguellsrr, deren Ausschöpfung vom
Standpunkte einer gesunden Wirtschaftspolitik
aus bei weitem weniger bedenklich ist als eine
Ueberspannnng der Biersteuerschraube.

IMtelltLnÄler


II


„Was soll ich denn damit?" fragte Els-
ner etwas unsicher. Aber Heymann lachte:
„Ihr Todesurteil, sonst weiter nichts! Zei-
gen Sie, daß Sie ein Mann sind und unter-
'chreiben Sie!"
Und Herr Goldstein, übermäßig lachend,
lugte hinzu: „Todesurteil vollstreckbar Lurch
Ersäufen in Bordeaux'" —
Elsner lag längst, zum Mißvergnügen von
Frau Lücke, laut schnarchend und stark nach
Dein duftend, im Bett, als im „Schwarzen
Roß" Heymann und sein angeblicherEeschäfts-
ireund Goldstein, den er so ganz „zufällig"
Setrosfen hatte, über ein Papier gebeugt sa-
ßen und lasen:
„Herrn Moritz Heymann. Zwickau.
Hierdurch bestätige ich den Inhalt unseres
Gesprächs vom heutigen Tage, in welchem
wir als bindend abgeschlossen haben, daß ich
Ihnen das Grundstück Peterstraße 10 gegen
einen angemessenen Kaufpreis käuflich
überlassen werde.
Friedberg, am 27. Juli 1897."
Darunter stand in festen Zügen die Unter-
lchrift „Johann George Elsner".
.^Dagegen ist nichts zu machen. Der In-
halt ist streng reell, und daß Elsner nicht sinn-
los betrunken war. als er unterschrieben hat,
das können Sie- als Unbeteiligter natürlich
>nir bestem Gewissen * bestätigen. Goldstein!"
Die dumpfen Glocken vom Petersturm
verhallten. Und jeder in der Stadt wußte,
daß nun die Beerdigung des Meisters Koch zu
^nde war. Vom afften Johannesfriedhof
strömten die Teilnehmer an der ernsten Feier
'N die umliegenden Straßen, nach Hause zu-
fiickkehrend, und die vielen schwarzgekleideten
Gestalten, die Herren in blanken Zylindern,

gaben dem Tage und den Straßen ein beson-
deres Gepräge. Denn überaus zahlreich war
die Trauergemeinde gewesen, wie es bei der
Beliebtheit des Verstorbenen nicht anders zu
erwarten war.
Einige Trauerkutschen rollten über das
Pflaster nach dem Hause in der Ritterstraße,
wo Meister Kochs Werkstatt und Wohnung
lag. Nur wenige der engsten Verwandten
hatten sich eingesunden zum Trauerschmause,
und bald zog sich die Witwe zurück. Auch
Hans, der seit gestern nicht von ihrer Seite
gewichen war, ging unter einem Vorwande
bald weg. Stieg hinauf in seine Kammer und
kleidete sich in sein Alltagsgewand. Er
wollte noch «in wenig hinaus an die Luft ge-
hen und- hoffte, nach dem aufregenden Abend
auf stillem Spaziergang Ruhe zu finden.
Durch alte Gassen, steil und mit kleinen
Häuschen besetzt, stieg er hinauf zum Donats-
turm, wo er die Stadt ruhig zu seinen Füßen
liegen sah, die Stadt, in der er seine Kind-
heit, seine Lehre, und eigentlich sein ganzes
Leben verbracht hatte, die-Stadt, in der auf
stillem Friedhöfe seine Eltern, so mancher
gute Freund und nun auch sein lieber Meister
ruhte. Die Stadt auch, in der die Eine lebte,
die Eine, die er über allem Erleben der letz-
ten Tage fast vergessen hatte.
Lange stand er da oben, an den Stamm
einer alten Linde gelehnt, und die Sonne
neigte sich über -em schwarzen Hospitalwald
dem Horizonte zu, als er langsam wieder hin-
ein zur Stadt schritt. Seinen Gedanken nach-
hängend, achtete er weder auf den Weg noch
auf die Menschen, die ihm entgegenkamen.
Bis ihn der Klang einer vertrauten, lieben
Stimme aus feinem Sinnen ausschreckte. Rose-
marie Elsners Blavaugen leuchteten ihm ent-
gegen. ch

„Rosemarie nicht einmal dich habe ich
gesehen!"
„Ich kann mir's denken, daß du heute nach-
denklich bist. Aber es schien mir, als wenn
deine Gedanken nichr trüber Natur gewesen
wären, und du kannst mir glauben, daß ich
mich darüber freue."
„Hör zu, Rosemarie. Was meinst du,
wenn ich Meister wäre was würde Lein
Vater wohl sagen, wenn rch daun um deine
Hand anhielte? Würde er dann aucü noch auf
seinem Patrizierstolz beharren und mich ab-
weisen? Glaubst du, daß ec jo wenig Rück-
sicht auf den Wert eines Menschen legt und
so viel auf Las Aeußere aiüt?"
Rosemarie war überrascht. Uederrascht
von der Frage und überrascht von dem Frei-
mut, mit dem Hans ihr diese Frage vorlcgte.
Dabei hatte er sie voll und ohne Befangenheit
angesehen. Man mußte fühlen, daß er es
ehrlich meinte.
Rosemarie senkte den Blick, und mit einem
leisen Seufzer sagte sie:
,Läns. laß es, verlange keine Antwort
von mir auf diese Frage."
„Wenn ich dich aber darum bitte, willst
du mir auch dann die Antwort verweigern?
Gibst du mir keine Antwort, dann weiß ich,
daß auch dieses eine Antwort ist."
„Und du denkst Las Richtige," gab Rose-
marie traurig zur Antwort.
Gaffer würde nie die Einwilligung geben,
daß ich einen anderen heirate als einen Kauf-
mannssohn. Einen, der später einmal das
Geschäft übernimmt. Es ist ihm so schon
schwer genug, daß nach Jahrhunderten der
Inhaber des Geschäfts einmal einen anderen
Namen tragen soll als bisher. Das kein Jo-
hann George Elsner da ist. kein Sohn, der
Namen und Geschäft führt."

„Das kann ich wohl verstehen," antwortete
Hans. „Jahrhundertelang ist die Geschichte
dieses Hauses, und was kann es ihm bedeuten,
Laß auch ich vielleicht drauf und dran bin,
meinerseits ein Unternehmen zu gründen, daß
später einmal ebenso geachtet und geschätzt
sein wrrd, wie heute seine Firma. Er steht
am Ende, ick am Anfang."
Und überrascht vernahm Rosemarie, was
gestern zwischen ihm und der Meisterin be-
sprochen worden war Aber Hoffnung konnte
sie ihrem Hans doch nicht machen. Es müßte
ein glücklicher Zufall eintreten, wenn ihr Va-
ter denn doch noch ihrer Verbindung zustim-
men sollte. Ein glücklicher Zufall — sie wußte
nicht, daß es nicht ein glücklicher, sondern ein
sehr, sehr betrüblicher Umstand sein würde,
der einmal entscheidend in ihr Leben eingrei-
sen würde. -
Sie waren durch die stillen Straßen der
Stadt geschritten, und der Abend senkte sich
langsam hernieder. In den Anlagen am
Kreuzteich hinter den wuchtigen Mauern des
Schlosses gingen sie, um den Heimweg anzu-
treten. Auch hier war es still, und nur ab
und zu ein Pärchen, das gleich ihnen die Liebe
zusammengcführt hatte, begegnete ihnen. Am
Schwedendenkmal beim Schneckenberg trenn-
ten sie sich. Hielten sich einew Augenblick noch
an beiden Händen gefaßt und sahen einander
tief in die Augen.
„Ich warte auf dich!" jagte Rosemarie leise
und doch mit fester Stimme und bot ihm ihre
Lippen zu einem ersten Kuß.
Lange noch sah Hans ihr nach, wie ihre
lichte, aufrechte Gestalt mit raschem Schritt
die Patersstraße entlangging, endlich im Dun-
kel verschwindend.
(Fortsetzung solgts
 
Annotationen