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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Michel, Wilhelm: Gewerbe-Künste und Welt-Wirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0015

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XXXIII. JAHRGANG

DARMSTADT.

JAN .-FEBR. 1922.

GEWERBE-KÜNST E UND WELT-WIRTSCHAFT.

ein hinweis auf zeitwichtige zusammenhänge.

Im Dunkel der Achtlosigkeit hat sich diese letzten
Jahrzehnte her eine Tatsache vollzogen, deren
ungeheure Tragweite sich täglich von neuem er-
weist: das Zusammenwachsen aller getrennten
Volkswirtschaften zu einem einzigen »weltwirt-
schaftlichen Körper«. Ein geheimnisvoller Umstand
existiert, der alle ererbten Begriffe von Armut und
Reichtum eines Volkes, von Gunst oder Ungunst der
Ereignisse in Zweifel zieht oder gar völlig auf den
Kopf stellt... Wir haben heute sogenannte »reiche«
Länder und andre, die als »arm« gelten. Aber
die armen arbeiten und produzieren, die reichen
seufzen unter dem Druck schwerer Arbeitslosig-
keit. Güter, die den Sieger-Ländern zufallen, wie
Schiffsraum oder Kohle, stören das wirtschaftliche
Gleichgewicht der so Bereicherten in der emp-
findlichsten Weise, . . Armut, die uns befallen
hat, wirkt sich auf dem Gebiet der Handwerks-
künste ganz anders aus als etwa vor 100 Jahren.
Die Bezogenheit jeder Volkswirtschaft auf den
Weltmarkt biegt alle einfachen, geläufigen Zu-
sammenhänge um. Sie eilaubt uns nicht, wie
nach den Befreiungskriegen in eine Epoche be-
tonter Einfachheit einzutreten, Form, Erzeugung
und Verbrauch auf ein Mindestmaß einzuschränken.

Sie fordert uns im Gegenteil auf zu reichster
Produktion; sie macht es uns zur unausweich-
lichen Pflicht, das Können, die Gediegenheit,
die Konkurrenzfähigkeit unsrer Handwerkskünste
gerade jetzt zu erweisen. Denn es ist der Welt-
markt, der alle Werte bestimmt, und gerade
unsere »Armut« zwingt uns und befähigt uns,
die äußerste Regsamkeit auf den genannten Ge-
bieten zu entfalten. Wir sehen hier das Feld
frei für eine Tätigkeit, die alle müßigen Hände
beschäftigt und alle Geister zur Bewährung
bringt . . Es ist freilich sicher, daß dies ein Vor-
teil mit einer dunklen Kehrseite ist. Die Tat-
sache, daß ein Weltwirtschaftskörper existiert,
bewirkt mit begeisternder Gesetzmäßigkeit, daß
alle starken Ausschläge nach der einen oder
anderen Seite mit Verlust oder Gewinn auf andrer
Seite aufgewogen werden müssen. Sie erklärt
aber auch die anscheinende Widersinnigkeit, daß
in diesem Augenblick unsre Gewerbe-Künste zu
verstärkter und verfeinerter Produktion ansetzen
können, — ein Umstand, dessen wir uns wohl
freuen dürfen, weil er zu dem vom Geschick
uns zugedachten Ausgleich für manches schlimme
Übel auf andrer Seite gehört. . . wilhelm michel.

1922 i-ill
 
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