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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Schiebelhuth, Hans: Das Wesen der Bauseele
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0182

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INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT KURT FR1CK—KÖNIGSBERG

TERRASSE DES GUTSHOFES v. SCH.-GROSS-MÖLLEN

DAS WESEN DER BAUSEELE

Man sagt: der Geist ists, der baut und schafft, der
formt und gestaltet, und die einst seltene Frage, ob
ein Werk durchgeistigt sei, ist heutzutage gang und gäbe
geworden. Es ist erstaunlich, was in dieser Zeit ein ge-
bildeter Mensch vor einem Bauwerk, nehmen wir an, einer
gotischen Kirche, zu sagen weiß, wie man es gelernt hat,
die geistigen Mächte, die in einem solchen Werk ge-
schrieben stehen, abzulesen. Die Wissenschaf t ist tief in
den Geist der Gotik eingedrungen, und der kundige Be-
trachter kann meist dies maßlos übertürmte, aufsteigende
Gebet in Steinen nachsprechen, als stünde es vor seinen
Augen im Brevier . . Aber von der anderen unsichtbaren
Macht, von der Seele, die in einem Bauwerk sinnfällig
geworden ist, weiß man heute noch wenig zu sagen oder
nur zu stammeln. Man spürt die Bau-Seele, der geheime
heilige Lebensodem ist unbestreitbar da, aber man spricht
selten von ihm. Es ist, als habe man eine gewisse Scheu, in
die innere Musik der Architektur einzudringen. Andrer-
seits ergeben sich, wenn man sich bemüht, die Seelenele-
mente festzustellen, eine solche Menge Schwierigkeiten,
daß man, die Gewagtheit des Unterfangens vor der Uner-
schöpflichkeit der Aufgabe einsehend, gar zu leicht absteht.
Aber wenn trotzdem von »Bau-Seele« gesprochen wird,
ist es oftmals nur subjektive Seele, d. h.: Seele, wie sie
der Erleber von sich aus hineinsieht, Seele, die ihm nur

scheint, nicht aber an sich ist. . Schlimmer noch geht
man oft ins Schlagwörtliche, spricht etwa von der
Materialseele des Rotsandsteins oder Muschelkalks, der
Beseelung des Lichtraums durch bunte Fenster und ähn-
liches, und haftet so seine Betrachtung auf Nebensachen
und bleibt in Teilbezirken gefangen. Aber wie will man
je die seelischen Elemente und Bewegungen, die diese
abertausend Steine hinanrissen und zusammenfügten, er-
fassen, lesen und deuten? Und doch ist es gerade die
Gotik, die Seele in allen ihren Eigenschaften versichtbart
und sinnfällig gemacht hat. Man sehe nur einmal im Dom
dieses Atemhafte, diese Leichtigkeit, die über alle Erden-
schwere und das Erdgebundensein gleichsam triumphieren
will, dies sich der Erde entwühlen Wollen, dies Raum-
hinaufreißen, diese Unsumme Ubersinnlichkeit und mysti-
scher Gewalt, die an die Wolken will, sich in den Himmel
bohrt, zu Gott hinan will, dazu diese hochlodernde, innigste
Inbrunst, Hochmut der spitzigen Schmerzen, helle Demut,
in Streben und Stützen luftiger Pfeiler gekniet! Aus
wieviel erkennbaren Quellen schießt wohl diese Gesamt-
summe strömenden Seelenstoffs zusammen, die in einem
gotischen Dom steckt? Wir werden es nie ganz wissen,
es würde uns auch mit dem Wissen nicht geholfen sein,
aber der ewig Erkenntniswollende in uns sucht mit dem
Verstand immer Formeln, feste Inselchen in diesem Meer.
 
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