DOI Artikel:
Schebelhuth, Hans: Die Freude am kleinen Ding, [2]
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0162
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INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT LEO NACHTLICHT—BERLIN
FRÜHSTÜCKS-ZIMMER IM HAUSE DR. S.
DIE FREUDE AM KLEINEN DING
Lieber Gastgeber, ich lege dir die vielen kleinen
_,Dinge in deiner Wohnung, die tausend zahllosen
Kleinigkeiten ans Herz. Auch du hast zuerst eine Nach-
tigall erlebt oder einen feurigen Ginsterbusch, eh dir das
ganze Wunder des Waldes zuinnerst wahr ward. Auch
du hast zuerst am Meer gestanden und nichts erlebt als
ein tanzendes Boot oder einen Seestern am Strand, ehe
der unendliche Einklang von Woge und Himmel und die
Ruhe der großen Horizonte dein eigen wurde. Auch dir
war die Form eines Efeublattes Ursache großen Entzückt-
seins und die samtne Haut einer Aprikose eine unsäg-
liche Liebkosung, eh dir dein ganzer Garten ins Herz
hinein wuchs. Auch du hast dich zuerst über ein Bündel
Lerchen in der Luft jubilierend gefreut, eh du dies selt-
same Träumen lerntest in die Meere von Azur. Auch du
hast zuerst mit den teuflischen Wasserspeiern oder den
Rosetten der Schmiedwerke geliebäugelt, eh sich der
Raum gewaltig vor dir aufriß zur Fassade des gotischen
Doms. Auch du hast als Stümper angefangen und Faust-
verse erlebt, schöne Stellen und goldne Worte anstatt
der Ganzheit, anstatt des »Faust's« und hast jahrelang
Worte in dir bewegt, ehe dieses Monumentalgebäude
dichterischen Geistes in seinem ganzen Gefüge rund und
geschlossen in dir stand. Auch du bist mit der Einfalt
und der Begeisterungswilligkeit von sechzehn Jahren zu
den Madonnenbildern gegangen und wußtest kein Wort,
bis dir vor der »Madonna mit der Erbsenblüte« sich plötz-
lich das Lächeln aufschlug, das sie alle haben: holdselig
berauschend, gnadenhaft und sinnlos süß, und hast ge-
dacht, wie unbewußt weise die alten Maler seien, als sie
eine österliche Landschaft um das Bild der lieben Frau
auffalteten, mit Singvögeln den Rosenhag über den Gold-
grund legten, und zu Füßen den Sichelmond. Auch du
hast zuerst nur einen Orgel-Einsatz erlebt, eine Kadenz
oder eine kontrapunktische Melodie, ehe Bachs H-moll-
Messe in dich hineinfloß wie ein heilig düsterroter Strom.
Auch du hast zuerst um eine beringte Hand, eine Kopf-
haltung.einen langenAugenaufschlag gelechzt und gebebt,
eh' dich die Schönheit einer Seele bis ins Letzte erschüt-
terte, die Seele der Frau, die dir die Liebste ist.....
★
Du hast in tausend und abertausend Fällen deines
Lebens über die kleinen Dinge, die Nebensächlichkeiten,
die Nippsachen, die großen Zusammenhänge erlebt. Dein
Haus und Heim ist nichts als der überpersönliche Aus-
druck deines Lebens, deiner Erlebnisse, darum sei dir
bewußt, wie wertvoll die kleinen Dinge für dich und
deine Gäste sind. Lieber Gastgeber, ich liebe Nippsachen,
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT LEO NACHTLICHT—BERLIN
FRÜHSTÜCKS-ZIMMER IM HAUSE DR. S.
DIE FREUDE AM KLEINEN DING
Lieber Gastgeber, ich lege dir die vielen kleinen
_,Dinge in deiner Wohnung, die tausend zahllosen
Kleinigkeiten ans Herz. Auch du hast zuerst eine Nach-
tigall erlebt oder einen feurigen Ginsterbusch, eh dir das
ganze Wunder des Waldes zuinnerst wahr ward. Auch
du hast zuerst am Meer gestanden und nichts erlebt als
ein tanzendes Boot oder einen Seestern am Strand, ehe
der unendliche Einklang von Woge und Himmel und die
Ruhe der großen Horizonte dein eigen wurde. Auch dir
war die Form eines Efeublattes Ursache großen Entzückt-
seins und die samtne Haut einer Aprikose eine unsäg-
liche Liebkosung, eh dir dein ganzer Garten ins Herz
hinein wuchs. Auch du hast dich zuerst über ein Bündel
Lerchen in der Luft jubilierend gefreut, eh du dies selt-
same Träumen lerntest in die Meere von Azur. Auch du
hast zuerst mit den teuflischen Wasserspeiern oder den
Rosetten der Schmiedwerke geliebäugelt, eh sich der
Raum gewaltig vor dir aufriß zur Fassade des gotischen
Doms. Auch du hast als Stümper angefangen und Faust-
verse erlebt, schöne Stellen und goldne Worte anstatt
der Ganzheit, anstatt des »Faust's« und hast jahrelang
Worte in dir bewegt, ehe dieses Monumentalgebäude
dichterischen Geistes in seinem ganzen Gefüge rund und
geschlossen in dir stand. Auch du bist mit der Einfalt
und der Begeisterungswilligkeit von sechzehn Jahren zu
den Madonnenbildern gegangen und wußtest kein Wort,
bis dir vor der »Madonna mit der Erbsenblüte« sich plötz-
lich das Lächeln aufschlug, das sie alle haben: holdselig
berauschend, gnadenhaft und sinnlos süß, und hast ge-
dacht, wie unbewußt weise die alten Maler seien, als sie
eine österliche Landschaft um das Bild der lieben Frau
auffalteten, mit Singvögeln den Rosenhag über den Gold-
grund legten, und zu Füßen den Sichelmond. Auch du
hast zuerst nur einen Orgel-Einsatz erlebt, eine Kadenz
oder eine kontrapunktische Melodie, ehe Bachs H-moll-
Messe in dich hineinfloß wie ein heilig düsterroter Strom.
Auch du hast zuerst um eine beringte Hand, eine Kopf-
haltung.einen langenAugenaufschlag gelechzt und gebebt,
eh' dich die Schönheit einer Seele bis ins Letzte erschüt-
terte, die Seele der Frau, die dir die Liebste ist.....
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Du hast in tausend und abertausend Fällen deines
Lebens über die kleinen Dinge, die Nebensächlichkeiten,
die Nippsachen, die großen Zusammenhänge erlebt. Dein
Haus und Heim ist nichts als der überpersönliche Aus-
druck deines Lebens, deiner Erlebnisse, darum sei dir
bewußt, wie wertvoll die kleinen Dinge für dich und
deine Gäste sind. Lieber Gastgeber, ich liebe Nippsachen,