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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Geron, Heinrich: Das Schöne und das Nützliche
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0209

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XXX111. JAHRGANG.

DARMSTADT.

JUNI 1922.

DAS SCHONE UND DAS NÜTZLICHE

beides vereint ergibt die harmonie.

Es gab eine Zeit — unsere Großväter haben
sie noch erlebt — da war noch die Zweck-
form heilig und schön. Der Zeitgeist hatte sich
in der Baukunst, in Hausrat und Gebrauchs-Gerät
normative Formen geschaffen, — das nannte man
Stil. Da standen die Häuser wie gewachsen in
der Welt, anspruchslos und sicher, bequem zum
Bewohnen und eine Zierde der Landschaft. Da
war ein Stuhl als Sitzmöbel gerecht und es gab
keinen, der nicht auch schön war. Danach kamen
Zeitläufte, Jahrzehnte, in denen der Stil und die
Heiligkeit der Zweckform verloren ging . . Die
früher einheitliche Produktion spaltete sich: neben
dem bedächtig schaffenden Handwerk erstand
die in gewaltsamem Tempo arbeitende Massen-
Erzeugung der Groß-Industrie; die früher ein-
heitliche Werkstätten-Arbeit spaltete sich in die
Tätigkeit des ausführenden Handwerkers und des
im Atelier zeichnenden Entwerfers. Der Wille
spaltete sich so, daß die Schaffenden in der Bau-
und Einrichtungskunst einerseits einseitig der For-
derung nach der wirkungsvollen äußeren Erschei-
nung oder andererseits einseitig derPraktischkeits-
Aufgabe nachgingen. Also verschob sich die
Situation. Es gab Häuser, in denen es sich bestens

wohnen ließ, die aber als Bauwerk betrachtet
überall hin paßten, bloß in keine Landschaft oder
in ein Stadtbild. Hinwiederum gab es auch Häuser,
die eine repräsentative architektonische Fassade
boten, aber zum Wohnen hervorragend unprak-
tisch waren. Ein spielerisches Abwandeln der
Formen erfand Stühle, die fürs Auge immer Neues
boten, aber den Sitzenden foltern konnten. Hin-
wiederum gab es auch Stühle, in denen man vor-
trefflich und bequem saß, — aber daß ein solches
Sitzmöbel dazu auch wirklich schön war, das kam
nie vor. Die Produkte dieser Zeit werden heute
als Gegenbeispiele gezeigt . . Man hat es heute
— dank gesunder Handwerk-Instinkte und einer
nicht mehr losgelösten Sach-Ästhetik — dahin
gebracht, daß sich das Schöne mit dem Nütz-
lichen wieder harmonisch verbindet. Auch
die Forderung ist selbstverständlich geworden:
jedermann will nicht nur schön, sondern auch
praktisch eingerichtet sein. Der gute Geschmack
und die Forderung nach behaglicher Nutznieß-
lichkeit treten Arm in Arm in die Schranken . .
Ob nun die Heiligkeit der Zweckform wieder
kommt, wie ehemals, und, aus dem beruhigten
Zeitgeist geboren, der »Stil«? . . . Heinrich geron.

192S. vi. 1.
 
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