Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

DOI Artikel:
Geron, Heinrich: Speisezimmer und Küche
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0067

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

55

SPEISEZIMMER UND KÜCHE.

Der Wilde, der unzivilisierte, unkultivierte, barbarische
Mensch futtert. Seine Mahlzeit hat den Charakter
des Triebmäßigen, des Zufälligen, ja des Gelegentlichen.
Er hat Hunger . . Der moderne, zivilisierte Mensch aber
ernährt sich. Seine Mahlzeit hat den Charakter des Not-
wendigen, des Anberaumten, der gegebenen, nüchternen
Gesetzlichkeit. Er hat den Hunger bewußt zu einem
Ernährungs-Bedürfnis zivilisiert . . Der feine, kultivierte
Mensch aber speist, wenn er ißt. Seine Mahlzeit hat den
Charakter des heiligen Frohsinns und der bewußten, gött-
lichen Lebensfreude. Gewiß, er kann Hunger haben
»wie ein Wilder«, aber der Charakter des Triebmäßigen,
Zufälligen und Gegebenen wird seine Tischzeit nicht be-
stimmen. Gewiß, auch er kennt das Ernährungsbedürf-
nis, aber er wird in seinem Wissen über Nährsalze, Ka-
lorien und Kohlehydrate nicht den Grundton sehn, auf
dem sich der Akkord seiner Speisenfolge aufbaut, er
wird selbstverständlich wissen, was schmackhaft und be-
kömmlich ist, in ihm schlummert immer ein Gourmet,
und die Großmeister der Gastronomie, Brillat-Savarin
und Fürst Pückler-Muskau, werden ihm liebere Ratgeber
sein, als die Nahrungsmittelchemiker und Küchenärzte
unserer Zeit, die er mit der Würde des Genießers als
Ernährungsphilister abtut und belächelt. Kurz, der Mensch

dieser höheren Lebenshaltung, der Mensch, der die Kultur
des Essens kennt, hat seinen Hunger, sein Ernährungs-
bedürfnis kultiviert zur Eßlust, . . er hat »Appetit.« Und
diese Note genießerischer Lebensfreude findet naturge-
mäß in zwei Räumlichkeiten seiner Wohnung besonderen
Ausdruck, im Speise-Zimmer und in der Küche. . .

Helle, Freundlichkeit und Sauberkeit sind die Haupt-
eigenschaften, die diese Räume auszeichnen. Aber wäh-
rend das Speise-Zimmer die Kultstatt des Genießens
und der Eßlust wird, ein Raum von Leichtigkeit und Be-
hagen, ein Zimmer der Wein- und Wohllaune und der
Fröhlichkeit, mit anregender Grazie und Charme in
allen Formen und Farben, ein Raum, in dem Blumen
nicht fehlen dürfen auf dem Schnee des Damasts und
das musikalische Schwingen kristallener Gläser in der
Atmosphäre, das Blinken und die kühle Form von Ge-
schirr, edlen Gefäßen und Silberzeug auf der Kredenz . .,
bekommt die Küche eine andere Poesie, die Poesie der
Werkstatt und des Wirkens, des Schaffens und des
tätigen Hausfleißes. Natürlich muß sie in jeder Beziehung
hygienisch sein, die Vorzüge des Handlichen und Prak-
tischen zu erwähnen erübrigt sich fast, denn wer wollte
in einer unpraktisch angelegten Küche schalten und wal-
ten, welche Hausfrau, welches Küchenmädchen, welcher
 
Annotationen