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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Guardini, Romano: Der Sinn der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0179

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XXX111. JAHRGANG.

DARMSTADT.

MAI 1922.

DER SINN DER KUNST

vom zweck, sinn und dasein

Zweck im eigentlichen Sinn nennen wir jenes
ordnende Etwas, das Dinge oder Handlungen
andern unterstellt, sodaß eins auf das andere hin-
zielt, eins um des andern willen da ist. Das Unter-
geordnete: das Mittel hat nur insoweit Bedeu-
tung, als es geeignet ist, dem Übergeordneten,
dem Zweck zu dienen. Jedes Ding ist aber auch,
— und manche sind es fast ganz, — etwas in
sich selbst Ruhendes, sich selbst Zweck. Solche
Dinge haben keinen »Zweck« in der strengen Be-
deutung des Wortes — aber sie haben einen Sinn.
Ihr Sinn liegt darin, daß sie das sind, was sie sind.

Das Kunstwerk hat keinen »Zweck«, es hat
aber einen Sinn: nämlich den, daß es da sei,
daß in ihm das Wesen der Dinge, das innere
Leben der Künstler-Menschenseele wahrhaftige,
lautere Gestalt gewinne. Wenn das Leben die
straffe Ordnung der Zwecke verliert, dann wird
es zu spielerischem Ästheten-Wesen. Wenn es
aber in das starre Gefüge einer bloß zweckhaften
Weltansicht gezwängt wird, dann stirbt es! Beides
gehört zusammen. Der Zweck ist das Ziel des
Strebens, Arbeitens, Ordnens. Der Sinn aber ist
der Inhalt des Daseins, des blühenden, reifenden
Lebens. Das sind die beiden Pole des Seins:

Zweck und Sinn, Streben und Wachsen, Arbei-
ten und Hervorbringen, Ordnen und Schaffen.
In der Kunst will der Künstler nichts, als das
höhere Leben, nach dem er verlangt und das er
immer nur annäherungsweise erreicht, in der Welt
der Vorstellung zum Ausdruck bringen. Der
Künstler will nichts, als sein Wesen und Sehnen
ausschaffen, der inneren Wahrheit äußere Gestalt
geben. Künstler sein heißt: um den Ausdruck
des verborgenen höchsten Lebens ringen, auf daß
es, ausgesprochen, »da sein« könne; es ist das
Abbild des göttlichen Schaffens . . Und der Be-
schauer soll vor dem Kunstwerke nichts wollen, als
daß er in ihm sich aufhalte, atme, frei sich bewege,
des eignen Wesens-Besten sich bewußt werde.

Die Seele muß wieder lernen, nicht überall
»Zwecke« zu sehen, nicht allzu zweckbewußt,
allzu klug und »erwachsen« sein zu wollen, son-
dern sich dazu verstehen, einfach hinzuleben; sie
muß sich entschließen, wieder zu spielen, — so
wie David tat, als er vor der Bundeslade tanzte ..
Freilich kann es geschehen, daß allzu kluge
Leute, die vor lauter »Erwachsensein« die Freiheit
und Frische des Geistes verloren haben, dies
nicht verstehen und darüber spotten, dp. r. Guardini.

1923 t. 1.
 
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