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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Krause, Gerhard: Werkstoff und Gestaltung
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Kümmel, Otto: Kunstwerk - Naturwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0382

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WERKSTOFF UND GESTALTUNG

material, mensch und natur

Vor mir auf dem Tisch liegt ein chinesisches Manda-
rinen-Zepter, es ist aus grünem Porzellan und ruht auf
Seide in einem Glaskästchen, dem ein Gestell aus Black-
wood, — überaus fein geschnitzt, — als Untersatz dient. .

Und gerade dieses zieht meine Aufmerksamkeit auf
sich: Allerfeinstes Holz-Filigran — in seiner Zartheit an
Werke der Spitzen-Kunst erinnernd — bildet das Füll-
werk zwischen den kräftigen Stützen, die das Ganze
tragen. Asiatische Stilisierungskunst schuf, ausgehend
von Naturmotiven, in geduldigstem handwerklichem Stre-
ben aus widerspenstigem Material ein reizvolles Gerät,
dessen Betrachtung uns mit jener Befriedigung erfüllt, die
restlose Beherrschung des Technischen, verbunden mit
künstlerischer Beseelung der Formen, immer auslöst. . .
Alles ist aufs beste erhalten, kein Sprung ist im Holz,
keine abgebrochenen Verzierungs-Teile haben das kleine
Gerät entstellt, trotz der äußersten Zartheit und trotzdem
sicherlich seine Entstehung schon recht lange zurückliegt.

Eine Frage beschäftigt mich beim Betrachten dieses
Kunstwerks: Würden nicht unsere modernen Verfechter
der strengen »Materialgerechtheit« dieses feine Produkt
asiatischen Handwerks wahrscheinlich als unmaterialge-
recht, diese dem Holze abgewonnenen Formen als dem
Wesen des Materials zuwiderlaufend verurteilen? . . .

Damit komme ich zur Frage des Prinzips der »Mate-
rialgerechtheit« im allgemeinen. Wohl verdanken wir
dem Ruf nach Materialgerechtheit vieles: die Neu-Er-
kenntnis vom Wesen eines Materials überhaupt, die Be-
reicherung in der tatsächlichen Auswahl und Anwendung
der zur Verfügung stehenden kunsthandwerklichen Roh-
stoffe und — als passiven Gewinn, der nicht hoch genug
veranschlagt werden darf — das Loskommen von all den
häßlichen und unbeseelten Imitations-Produkten unserer
Vorgeneration, den Renaissance-Fassaden für Miets-
kasernen, den Plüschgarnituren und vielen Hausgreueln.

Wir sind, — an ihnen gemessen, — weiter gekommen,
ohne Zweifel! Und trotzdem sind wir von dem Ziele
kunsthandwerklichen Schaffens noch weit entfernt, wenn
wir nur material gerecht sein wollen. Auch daß wir
für verschiedene Zwecke differenzierteste Material-Aus-
wahl treffen müssen, gehört noch zu den primärsten For-
derungen, die wir überhaupt zu stellen haben. Es genügt
nicht, den vorliegenden Grundstoff nur seinem offensicht-
lichen Wesen entsprechend zu bearbeiten —, wir müssen
das Material formlich so durchdringen, daß es, über sich
selbst hinausgehoben, erst wirklich künstlerisches Geistes-
produkt wird . . Wenn ich ein kunsthandwerkliches Pro-
dukt des Ostens als Beispiel dafür heranzog, so tat ich
das nur in Bezug auf die Benutzung des Materials als Aus-
drucksmittel eines Gedankens; keinesfalls soll einer öst-
lich orientierten Formengebung für uns das Wort geredet
werden. Eigene Formen-Ideale sollen Gestalt gewinnen,
aber nicht in Fesseln des Materials, sondern unter größt-
möglicher Ausnützung und Dienstbarmachung des Werk-
stoffes. Das Material, der Werkstoff sei nicht die hem-
mende Kette, die, den Formenwillen behindernd, ihm Mög-
lichkeiten des Ausdrucks versperrt, sondern treuer Helfer,
der, sich in den Dienst der künstlerischen Idee stellend,
ihre Materialisation in reinster Form erreichbar macht. . .
Die älteren kunsthandwerklichen Produkte des Ostens

üben deshalb einen so starken Zauber auf uns aus, weil
sie nicht im Material stecken geblieben sind, sondern der
künstlerische Formenwille, der gekräftigt und gestützt
war durch eine alte, hohe Kultur, den Werkstoff über-
wand und ihn seiner Eigenart entsprechend mit seinem
Wesen durchdrang und ihn dadurch übersieh selbst erhob.

— Hierzu ist die restlose Beherrschung des Techni-
schen selbstverständliche Voraussetzung und die Er-
ziehung dazu unerläßlich, wenn wir zum Ziele gelangen
wollen, zur Erreichung des Höchstmaßes an Ausdrucks-
möglichkeit — durch Benutzung der weseneigentüm-
lichen Schönheiten des Materials und dessen Beseelung
durch den Geist des Bildenden. Gerhard krause-hamburg.



NACHWORT. In Ergänzung und teilweiser Einschrän-
kung dieser Ausführungen wäre darauf hinzuweisen,
daß, solange von einer »Überwindung« und »Dienstbar-
machung« des Materials, vom Form-»Willen«, — nicht
von der schöpferischen Beseelung, die Rede ist, also der
»Gewalt«-Standpunkt — wenn auch gemäßigt — ver-
treten wird, die rechte Material-» Liebe« , die höchste
Kongruenz zwischen Schöpfer und Materie nicht auf-
kommen kann . . Gerade der erwähnte Blackwood-
Ständer, dessen hartes, feines Holz den liebenden Kunst-
handwerker zur zarten Feinarbeit verleitet, ist u. E. ein
Beweis der »Materialgerechtheit« im höchsten Sinn,
der tiefen Naturliebe, der liebenden Einfühlung des
Asiaten in das Wesen des Materials, der Natur-Dinge

— von der auch die zahllosen kostbaren Nephrit-, Por-
zellan-, Horn-, Elfenbein-, Bronze-Arbeiten beredte
Zeugen sind, und von der unsere Kunst-Handwerker meist
noch weit entfernt sind, — eben weil sie noch auf die
Anschauungsweise des Verfassers eingestellt sind. . . l.

KUNSTWERK = NATURWERK

Eine »Kunst des Gerätes«, — eine Kunst also, die
in der natürlichen Sprache des Stoffes eine schöne
und ausdrucksvolle Form für das Wesen des Gerätes
findet, — hat es wohl nur in Ostasien gegeben . . Bei
uns hat gerade das edelste Gerät nicht dem Gebrauch,
sondern der Dekoration gedient, — ist also seinem inner-
stem Wesen untreu geworden. Der Ostasiate aber kennt
nur Gerät für den »Gebrauch« — mag er es auch ge-
legentlich einmal als Zierstück verwenden. Form und Zier-
rat widersprechen daher weder innerlich noch äußerlich
dem Zwecke, sondern erleichtern undheben den Gebrauch,
kommen allerdings auch erst im Gebrauch zu voller Gel-
tung . . Der eigentümliche Zauber ostasiatischen Geräts
quillt aber erst aus der geheimnisvollen Gabe ihrer Schöp-
fer: dem stummen Leben, das im Stoffe nach Ausdruck
ringt, eine Sprache zu geben . . Unser Kunstgewerbe be-
streitet seinen Aufwand im wesentlichen mit Anleihen bei
der »Hohen Kunst«, deren Werke — mit größerer oder
geringerer Geschicklichkeit — auf das, stofflich ganz
anderen Gesetzen unterworfene Gerät übertragen werden.
Die ostasiatische Geräte-Kunst ist aus dem Geist des
Stoffesgeboren, ihre edelsten Werke haben die selbst-
verständliche und unergründliche Schönheit von Na-
tur-Erzeugnissen.« otto kümmel, aus »die kunst ost-asibns«.
 
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