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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922

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Happel, Herta: Zeitgeist und Raumgestalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0385

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373

adolf o. schneck—stuttgart

schlafzimmer. ausf: emil buschle

ZEITGEIST UND RAUMGESTALT

Eng verbunden sind immer: Zeitgeist und Raumge-
staltung . . Vor dreihundert Jahren, zur Zeit Louis
XIV., Hochbarock: Weite, glänzende Säle, Wände und
Decken verschwindend unter einem Feuerwerk prunken-
der Ornamente, die breite Sinnlichkeit kostbar eingelegter
Möbel: — als Hintergrund und Echo rauschender Feste. .
Hundert Jahre später: zierliche Rokoko-Möbel spiegeln
sich in lichten Räumen, Kerzenleuchter flimmern, zarte
Pastelle schmücken die Wände. Und durch diese heitere
Atmosphäre gleiten, wie Blumen, Frauen im Reifrock mit
überschlanken Taillen. Dunkle Augen glühen über den
spielenden Fächer, die Herren in zartfarbiger Seide spielen
zierlich-gewandt die ihnen zugewiesene Rolle. .Wille und
Arbeit sind diesen Menschen fremd, — sie kennen nur die
tändelnde Beschäftigung mit sich selbst . . Aber bald
werden sie ihrer selbst überdrüssig. Kräfte regen sich.
Unter Louis XVI. schon bereitet sich das Empire vor; die
strenge Linie der Antike setzt sich in der Mode und der
Formung der Möbel durch. Hoch und gerade, elegant,
stehen sie im Raum, geben den Rahmen für die Menschen,
die zwischen ihnen denken — und arbeiten. . Der Begriff
der »Ehre der Arbeit« hat seinen Eingang gefunden.
Und wieder hundert Jahre später, — nach einer suchen-

den, tastenden Zeit —: Möbel- und Raum-Gestaltung
sind breit und wuchtig geworden, eingestellt auf körper-
liches Behagen. Die durch die Tages-Arbeit abgehetzten
Nerven wollen breite weiche Flächen, um »auszuruhen«;—
aber zusehr der Anspannung gewohnt, können die Sinne
ihrer nicht ganz entbehren: nicht Harmonie — sondern
»Kontrast« ist das Bedürfnis .. Die Buntheit breitgestreif-
ter Bezüge, die belebten Formen und Farben der Bilder
und Tapeten einen sich mit der behaglichen Ruhe schwerer
Möbel und tiefer Sessel, in die der Körper wohlig ent-
spannt sich schmiegt, — während der Geist in der Neuspan-
nung geistvoll-pointierter oder tiefgründig-schürfender
Unterhaltung anregende Erholung sucht. . herta Happel.



Ach, ich habe sie verloren« —, klagt —, etwa ums Jahr
ZV 1822, — derwitzige Brillat-Savarin, — »diese
Frühstücke von einst, die so häufig und so lustig waren, als
man die Austern zu Tausenden verschlang! Sie gingen da-
hin mit den Abbes, die nie unter einem Gros verschluckten,
mit den Rittern, die überhaupt kein Ende fanden! . Ich
weine ihnen nach, — aber als Philosoph denke ich ge-
lassen : kann die Zeit ganze Staatsformen verwandeln, —
wie sollte sie vor einfachen Gebräuchen stille stehen?«
 
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