Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 33.1922
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https://doi.org/10.11588/diglit.10456#0394
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Schröder, Rudolf Alexander: Die "Zweckform" und der Künstler
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RUD. ALEX.
SCHRÖDER
WAND MIT
SPIEGEL
Tanz. »Zweckform« des Essens wäre in ähnlichem Sinne
der Blechnapf der Kaserne, seine Kunstform aber das
kultivierte Mahl, das hinter dem freien Anschein einer
festlichen Veranstaltung den bloßen Akt der Notdurft
verbirgt . . So wünscht auch der künstlerisch geartete
Mensch durchaus nicht, daß sein Schrank ihm immerfort
erzähle, wie viel Dutzend Hemden oder Gläser er im-
stande sei, staubfrei zu verwahren, oder sein Stuhl, wie
viel Kilo Lebendgewicht er tragen könne, ohne zu zer-
krachen. Im Gegenteil: Schrank und Stuhl sollen in seinem
Zimmer stehen, als stünden sie nur um ihrer eigenen
Schönheit und um der Schönheit des Wohnraumes willen
eben auf dem Platze, der ihnen zugewiesen ist: — damit
auch hierin die »Notdurft« des Lebens durch den be-
seelenden Zauber der Kunst als »Freiheit« erscheine. . .
Wer durch ungeeignete Form oder falsch ange-
brachte Ornamentik einen Gegenstand nötigen Gebrauchs
seinem Zweck entzieht, der allerdings versündigt sich
am Handwerk — und an der Kunst zugleich. Das ist
eine Binsenwahrheit, die hier beileibe nicht angefochten
werden soll . . Leider ist sie indes in einigen Köpfen
»hybrid« geworden — und hat dann große Mengen Druck-
papier seiner eigentlichen »Zweckbestimmung« entzogen!
Noch eine Bemerkung über den so viel berufenen Be-
griff des »Materialgerechten«. . . Um bestimmte
Wirkungen zur Vollkommenheit zu erzielen, bedürfen
Kunst und Kunsthandwerk bestimmter Materialien, die
durch nichts anderes zu ersetzen sind . . Zu welchem
Schwulst hat man diese einfache Tatsache aufgeblasen! .
Im übrigen gehört die jetzt so gern zur Schau getragene
Freude am »kostbaren und erlesenen« Material und die
grundsätzliche Ablehnung jeder Material-»Nachahmung«
eher ins sittliche Gebiet als ins ästhetische. Zeitgeschicht-
lich und kunstgeschichtlich könnte wohl solche einseitige
Einstellung als Zeichen ermattender Phantasie ange-
sprochen werden; denn das »Prunken« mit dem echten
SCHRÖDER
WAND MIT
SPIEGEL
Tanz. »Zweckform« des Essens wäre in ähnlichem Sinne
der Blechnapf der Kaserne, seine Kunstform aber das
kultivierte Mahl, das hinter dem freien Anschein einer
festlichen Veranstaltung den bloßen Akt der Notdurft
verbirgt . . So wünscht auch der künstlerisch geartete
Mensch durchaus nicht, daß sein Schrank ihm immerfort
erzähle, wie viel Dutzend Hemden oder Gläser er im-
stande sei, staubfrei zu verwahren, oder sein Stuhl, wie
viel Kilo Lebendgewicht er tragen könne, ohne zu zer-
krachen. Im Gegenteil: Schrank und Stuhl sollen in seinem
Zimmer stehen, als stünden sie nur um ihrer eigenen
Schönheit und um der Schönheit des Wohnraumes willen
eben auf dem Platze, der ihnen zugewiesen ist: — damit
auch hierin die »Notdurft« des Lebens durch den be-
seelenden Zauber der Kunst als »Freiheit« erscheine. . .
Wer durch ungeeignete Form oder falsch ange-
brachte Ornamentik einen Gegenstand nötigen Gebrauchs
seinem Zweck entzieht, der allerdings versündigt sich
am Handwerk — und an der Kunst zugleich. Das ist
eine Binsenwahrheit, die hier beileibe nicht angefochten
werden soll . . Leider ist sie indes in einigen Köpfen
»hybrid« geworden — und hat dann große Mengen Druck-
papier seiner eigentlichen »Zweckbestimmung« entzogen!
Noch eine Bemerkung über den so viel berufenen Be-
griff des »Materialgerechten«. . . Um bestimmte
Wirkungen zur Vollkommenheit zu erzielen, bedürfen
Kunst und Kunsthandwerk bestimmter Materialien, die
durch nichts anderes zu ersetzen sind . . Zu welchem
Schwulst hat man diese einfache Tatsache aufgeblasen! .
Im übrigen gehört die jetzt so gern zur Schau getragene
Freude am »kostbaren und erlesenen« Material und die
grundsätzliche Ablehnung jeder Material-»Nachahmung«
eher ins sittliche Gebiet als ins ästhetische. Zeitgeschicht-
lich und kunstgeschichtlich könnte wohl solche einseitige
Einstellung als Zeichen ermattender Phantasie ange-
sprochen werden; denn das »Prunken« mit dem echten