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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die erste Münchener Jahres-Ausstellung 1889, [9]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0082

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5H

Die erste Münchener Jahres-Ausstellung i8ü^. XII. Schluß

Teilnahme der hauptstädtischen Bevölkerung, die eine betrübend kleine und jedenfalls mit dem Werte des Ge-
botenen in keinem Verhältnis stehende von allem Anfang an blieb. Diese Teilnahmslosigkeit des Publikums
war aber nicht ganz unverschuldet von Seiten der Künstler, wie wir leider gestehen müssen. Jede Kunst soll
ein Spiegel des Lebens, d. h. der Ausdruck der Sitten, Anschauungen, des Geschmackes und der ganzen geistigen
Kultur wie der sozialen Zustände des Volkes sein, in dessen Mitte sie aufblüht. Thnt sie das nicht, wider-
spricht sie im Gegenteil der Empfindungsweise wie den Anschauungen der Nation, so läßt diese sie vollkommen
berechtigt mit Gleichgültigkeit fallen, und sie mag dann zusehen, wo sie Beschützer findet. Es kann daher
einer Kunstschule gar kein größeres Übel begegnen, als wenn sie sich mit ihren Idealen im Widerspruch zu
denen der Nation befindet, statt der getreueste Ausdruck derselben zu sein. Mehr oder weniger ist das aber
der Fall, wenigstens mit einem Teil der jüngeren Münchener Künstlerschaft, der sich auf einmal zum Nach-
ahmer gewisser französischer Kunstrichtungen machte, die den Anschauungen unsres Volkes ebenso zuwider laufen,
als seinem Charakter und seinem Geschmack. Die aber auch auf einem Verkennen der Ziele und Mittel der
Kunst beruhen. War es da ein Wunder, wenn sich die Bevölkerung unsrer Stadt sowohl wie die aus allen
Teilen Deutschlands zugereisten Besucher von diesen allen ihren Traditionen widersprechenden Nachahmungen
abwandten, die ihrer Naturanschauung so wenig entsprachen als ihrer Freude am eigenen nationalen Leben
und seiner Darstellung durch die Kunst? Sie konnten sich eben nicht überzeugen, daß unsre Heimat so spinat-
grün oder wie mit Milch übergossen anssehe, als sie dieselbe dargestellt fanden.
Daß aber die ganz andern Grundsätzen huldigende große Mehrzahl der Künstler dieses Vordrängen
einer Minorität doch ohne entschiedenen Widerstand geschehen ließ, dem verdankt sie nun die ganz falsche Vor-
stellung, die sich im Publikum über die Ausstellung bildete. Diese Meinung setzte sich um so fester, als eine
gute Zahl der Perlen derselben, wie die Bilder von Lenbach, Diez, Löfftz, Seitz, Seiler unter den Deutschen,
Dagnan-Bouveret und Auguin unter den Franzosen erst monatelang nach der Eröffnung eintrafen. — Nichts
aber ist schwerer, als einen üblen ersten Eindruck zu zerstören, selbst der Geübteste kommt kaum darüber
weg, der naiv Genießende aber nie. Dennoch bot die Ausstellung soviel des Trefflichen, daß von einem
Rückgang unsrer Kunst gewiß nicht, wenn auch allerdings von einer vorübergehenden Schwächung ihres bis-
herigen streng nationalen Charakters gesprochen werden kann. Ersteres schon darum nicht, weil eine ganze
Anzahl junger vielversprechender Talente zum Teil mit glänzenden Leistungen hervortrat, in denen es ihnen
gelang, sehr bestimmt die eigene Persönlichkeit auszusprechen, also den Schatz der Kunst mit neuen Erscheinungen
zu bereichern. Wir erinnern hier nur an das treffliche Bild von Marr, der sich durch dessen charaktervolle
Strenge in die vorderste Reihe unsrer Meister setzte, an Th. Schmidt und Wilh. Ritter, die das deutsches
Familienleben in all seiner Reinheit und zugleich so charakleristisch schilderten, wie es nie liebenswürdiger ge-
lungen, an die glänzenden Erstlingswerke von Rotte, Pilz, Schultheiß u. a. m. Ja selbst der neuesten Richtung
der Hellmalerei ist es wenigstens bei Uhdes „Lasset die Kleinen zu mir kommen" und nicht minder bei der
„Hl. Jungfrau" von Volz gelungen, sowohl lief ergreifendes als liebenswürdig Reines zu schaffen, was zu-
gleich weder des persönlichen noch nationalen Charakters entbehrt. Sie hat also die Möglichkeit von beidem
jedenfalls nachgewiesen, wie man denn gar sehr zwischen der Theorie der Künstler und ihrer Praxis zu unter-
scheiden hat, da sie überhaupt weit sicherer von ihrem Talent als von ihren Schulmeinungen geleitet werden.
Ja gerade die Reinheit der Empfindung ist es, welche zwischen den unter sich so verschiedenen
Schöpfungen der Ebengenannten und der herrlichen Madonna des Löfftz ein gemeinsames Band herstellt, das
in nichts andrem als jener spezifisch deutschen Auffassung besieht, der das Naive und Unschuldige wie das
Reine, Edle und Hohe nun einmal unbedingt sympathischer bleibt als modische Ziererei, Schmutz und Lüstern-
heit jeder Art. — Auf diesem angeborenen Widerwillen der Nation beruht aber ein guter Teil der Eigen-
tümlichkeit wie der Gesundheit unsrer Kunst und es wäre angesichts der Werke von Löfftz oder Marr voll-
kommen irrig, wenn man behaupten wollte, daß dieselbe gerade in diesem ihrem größten Vorzug vor der aller
andren Nationen Rückschritte gemacht habe seit der Herrschaft der romantischen Schule. Man halte nur einmal
Kinder- oder Madonnenköpfe von Overbeck, Führich, Steinle, Schwind, Ludwig Richter neben solche von Löfftz,
Defregger oder den obengenannten und man wird alsbald finden, daß hier von Rückgang gar nicht die Rede
sein kann, sondern nur vom Verdrängen des antikisierenden Schemas durch größere Wahrheit und Unmittelbarkeit.
Weit schwerere Gefahr droht unsrer Kunst, wenn sie sich durch die Nachahmung fremder Vorbilder
von ihrem spezifischen Vorzug des Erzählens und besonders des malerisch Gestaltens abdrängen ließe. Nicht
minder von dem der Beseelung ihrer Wiedergabe der Natur in allen Einzelheiten zu gunsten der Erzielung eines
mächtigeren Totaleindrucks. Denn das erstere hängt aufs tiefste mit unserm Nationalcharakter zusammen, dem
es nun einmal eigen ist, nicht nur das Ganze sondern auch alles Einzelne mit Liebe zu umfassen, ganz im
Gegensatz zu den Franzosen, die immer bereit sind, einem großen starken Gesamteindruck alles unterzuordnen,
und dann freilich auch leicht leer zu werden, wie der gegenwärtig unsinnig überschätzte Millet, der statt
Charakteren und Individuen bloß Typen und Stimmungen gibt. Da ist denn doch Dagnan-Bouverets
Weg weitaus der gesundere. Der Grundirrtum der neuen Freiluft-Malerei bleibt endlich der, daß sie eine
 
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