Alte und neue Aunstkritik.
N
den wir oben in seiner Anwendbarkeit auf moderne Kunst
darstellten. Er wendet seinerseits das Prinzip auf die
alte Kunst an, und es ist interessant, die Resultate zu
verfolgen, die uns zeigen, was am Schluß des 17. Jahr-
hunderts und im Laufe des 18. Jahrhunderts an den
alten Meistern geschätzt wurde.
Ich setze hierunter einen Auszug aus seiner Tabelle:
"ml
Zci».
Kolorit
Ausdruck
Rafael
17
18
12
18
—65
Rubens
18
13
17
17
—65
Caracci
15
17
13
13
—58
Domenicchino
15
17
9
17
—58
Le Brun
16
16
8
16
—56
van Dyck
15
10
17
13
—55
Poussin
15
17
6
15
-53
Correggio
13
15
13
12
—53
Tizian
12
15
18
6
—51
Rembrandt
15
6 ^
17
12
—50
Lionardo
15
16 !
4
14
—49
Tintoretto
15
14 j
16
4
—49
Giulio Romano
15
16 !
4
14
—49
Holbein
9
10
16
13
—48
Otto Venius
13
14
10
10
—47
Teniers
15
12
13
6
—46
Primaticcio
15
14
7
10
—46
Baroccio
14
15
6
10
—45
Andrea del Sarto
12
16
9
8
—45
Paolo Veronese
15
10
16
3
—44
Albani
14
14
10
6
—44
Seb. d. Piombo
8
13
16
7
—44
Abr. v. Diepenbek
11
10
14
6
—41
Palma d. I.
12
9
14
6
—41
Michelangelo
8
17
4
8
^37
Giovanni da lidine
10
8
16
3
—37
Dürer
8
10
10
8
^36
Bassano
6
8
17
0
—31
Peruglno
4
12
10
4
^30
Caravaggio
6
8
16
0
-30
Bourdon
10
8
8
4
^30
Palma Vecchio
5
6
16
0
—27
Giov. Bellini
4
6
14
0
—24
Luk. v. Leyden
8
6
6
4
—24
Fr. Penni il Fattore
0
15
8
! 0
—23
Diese Tabelle spricht eine lehrreiche Sprache. Was
zunächst die sich hieraus ergebende Rangordnung anlangt,
so stellt de Piles Rafael und Rubens unter den alten
Meistern am höchsten. In einigem Abstande folgen die
eklektischen Meister des 17. Jahrhunderts, die Caracci,
Domenicchino und die französischen Klassiker le Brun und
Poussin. Erst nach ihnen die großen Koloristen Tizian
und Rembrandt. Daß Holbein noch ziemlich hoch be-
wertet wird, verdankt er bei de Piles nur — seinem
koloristischen Talente (!). Sehr tief steht Michelangelo.
Selbst sein Schüler Sebastians del Piombo, der doch nach
heutiger Meinung als Nachahmer des gewaltigen Florentiners
nicht in einem Atem mit ihm genannt werden darf, ist
hier ihm vorgezogen. Noch tiefer steht dem de Piles
unser braver Albrecht Dürer, der nach seinen Zahlen als
ein rechter Durchschnittskünstler erscheint. Daß der große
Giovanni Bellini, der poetisch empfindende, farbenschöne
Venetianer und mit ihm der kraftvolle, originelle Lukas
van Leyden ganz bescheiden hinter allen übrigen nach-
hinken, wirkt recht komisch. Erheiternd ist es auch,
Otto Benins, den glatten, akademischen Lehrer des Rubens,
mit Lionardo und Holbein etwa in gleicher Reihe zu er-
blicken. Wenn aber der Rubensschüler Diepenbek vor
Michelangelo und Dürer, Palma Vecchio und Bellini steht,
so dürfte das heute wenig Beifall finden.
Ebenso lehrreich, stellenweise auch erheiternd, ist zu
verfolgen, was R. de Piles an den einzelnen Meistern
schätzt, resp. verwirft. Daß Michelangelo nur sehr mäßig
komponierte, Bellinis seelenvolle Gestalten absolut aus-
druckslos sind, daß Dürer ein schlechter Zeichner war,
Tizians Gestalten der rechte Ausdruck mangelt, das sind
gewiß überraschende Mitteilungen, die wir aus den trockenen,
aber doch so vielsagenden Zahlen herauslesen dürfen.
Nicht nur die Methode dieser Klassifizierung ist lehr-
reich, auch ihre Resultate. Die Wichtigkeit der Originalität
war (diesem Kunstkritiker und seiner Zeit noch ebenso
unbekannt, wie die Bedeutung des Naturalismus oder
Magdalenas Lrauer an der Leiche Christi.
Arnold Böcklin pi'nx.
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den wir oben in seiner Anwendbarkeit auf moderne Kunst
darstellten. Er wendet seinerseits das Prinzip auf die
alte Kunst an, und es ist interessant, die Resultate zu
verfolgen, die uns zeigen, was am Schluß des 17. Jahr-
hunderts und im Laufe des 18. Jahrhunderts an den
alten Meistern geschätzt wurde.
Ich setze hierunter einen Auszug aus seiner Tabelle:
"ml
Zci».
Kolorit
Ausdruck
Rafael
17
18
12
18
—65
Rubens
18
13
17
17
—65
Caracci
15
17
13
13
—58
Domenicchino
15
17
9
17
—58
Le Brun
16
16
8
16
—56
van Dyck
15
10
17
13
—55
Poussin
15
17
6
15
-53
Correggio
13
15
13
12
—53
Tizian
12
15
18
6
—51
Rembrandt
15
6 ^
17
12
—50
Lionardo
15
16 !
4
14
—49
Tintoretto
15
14 j
16
4
—49
Giulio Romano
15
16 !
4
14
—49
Holbein
9
10
16
13
—48
Otto Venius
13
14
10
10
—47
Teniers
15
12
13
6
—46
Primaticcio
15
14
7
10
—46
Baroccio
14
15
6
10
—45
Andrea del Sarto
12
16
9
8
—45
Paolo Veronese
15
10
16
3
—44
Albani
14
14
10
6
—44
Seb. d. Piombo
8
13
16
7
—44
Abr. v. Diepenbek
11
10
14
6
—41
Palma d. I.
12
9
14
6
—41
Michelangelo
8
17
4
8
^37
Giovanni da lidine
10
8
16
3
—37
Dürer
8
10
10
8
^36
Bassano
6
8
17
0
—31
Peruglno
4
12
10
4
^30
Caravaggio
6
8
16
0
-30
Bourdon
10
8
8
4
^30
Palma Vecchio
5
6
16
0
—27
Giov. Bellini
4
6
14
0
—24
Luk. v. Leyden
8
6
6
4
—24
Fr. Penni il Fattore
0
15
8
! 0
—23
Diese Tabelle spricht eine lehrreiche Sprache. Was
zunächst die sich hieraus ergebende Rangordnung anlangt,
so stellt de Piles Rafael und Rubens unter den alten
Meistern am höchsten. In einigem Abstande folgen die
eklektischen Meister des 17. Jahrhunderts, die Caracci,
Domenicchino und die französischen Klassiker le Brun und
Poussin. Erst nach ihnen die großen Koloristen Tizian
und Rembrandt. Daß Holbein noch ziemlich hoch be-
wertet wird, verdankt er bei de Piles nur — seinem
koloristischen Talente (!). Sehr tief steht Michelangelo.
Selbst sein Schüler Sebastians del Piombo, der doch nach
heutiger Meinung als Nachahmer des gewaltigen Florentiners
nicht in einem Atem mit ihm genannt werden darf, ist
hier ihm vorgezogen. Noch tiefer steht dem de Piles
unser braver Albrecht Dürer, der nach seinen Zahlen als
ein rechter Durchschnittskünstler erscheint. Daß der große
Giovanni Bellini, der poetisch empfindende, farbenschöne
Venetianer und mit ihm der kraftvolle, originelle Lukas
van Leyden ganz bescheiden hinter allen übrigen nach-
hinken, wirkt recht komisch. Erheiternd ist es auch,
Otto Benins, den glatten, akademischen Lehrer des Rubens,
mit Lionardo und Holbein etwa in gleicher Reihe zu er-
blicken. Wenn aber der Rubensschüler Diepenbek vor
Michelangelo und Dürer, Palma Vecchio und Bellini steht,
so dürfte das heute wenig Beifall finden.
Ebenso lehrreich, stellenweise auch erheiternd, ist zu
verfolgen, was R. de Piles an den einzelnen Meistern
schätzt, resp. verwirft. Daß Michelangelo nur sehr mäßig
komponierte, Bellinis seelenvolle Gestalten absolut aus-
druckslos sind, daß Dürer ein schlechter Zeichner war,
Tizians Gestalten der rechte Ausdruck mangelt, das sind
gewiß überraschende Mitteilungen, die wir aus den trockenen,
aber doch so vielsagenden Zahlen herauslesen dürfen.
Nicht nur die Methode dieser Klassifizierung ist lehr-
reich, auch ihre Resultate. Die Wichtigkeit der Originalität
war (diesem Kunstkritiker und seiner Zeit noch ebenso
unbekannt, wie die Bedeutung des Naturalismus oder
Magdalenas Lrauer an der Leiche Christi.
Arnold Böcklin pi'nx.
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