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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Ein Wiener Bildhauer und sein Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0030

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Lin Wiener Bildhauer und sein Werk.

von L. v. vrncenti. Nachdruck verdate,.

^Ha, ein Wiener Bildhauer mit einem Tropfen Ungarblut vielleicht. Wie Makart war Tilgner kein geborener
^ Wiener. Und doch, als beide, viel zu früh, heimgingen, hatte sich ein Stück vom Wiener Herzen los-
gelöst, waren zwei echt Wiener Künstler gestorben. Auch sonst hatten sie, von Milieu und Kunstklima ab-
gesehen, gar manches mitsammen gemein. Vor allem das eminent Persönliche ihrer Kunst, dann das malerische
Bedürfnis bis znm Ueberschwang, den Schmücksinn und ihre an sich freilich ganz verschiedene „Frauenlob"-

Knnst. In der Hauptsache jedoch gingen der Maler und der Bildhauer weit auseinander: hier der Farben-

poet, der Träumer, der Verzauberer, dort der Zugreifer, der Individualist, der Entzauberer bisweilen bis
zur Grausamkeit Makart war kein Bildnismaler, Tilgner ist der eigentliche Begründer der modernen Wiener
Bildnisplastik. Dem verträumten Hans war das Erfassen der Menschen, das Herausholen und Festhalten des

Individuellen, nahezu versagt, er sah den Menschen nur malerisch-typisch; Tilgner besaß das feinste Gefühl

für das Reinpersvnliche, Bezeichnende in der Erscheinung, seinem Auge offenbarte sich der Mensch sofort, denn
Tilgner sah nur individuell. Makart interessierte sich lediglich für das künstlerisch-malerisch Verwertbare im
und besonders am Menschen, Tilgner konnte sich für den Menschen als solchen schlankweg begeistern, deshalb
war er auch der Modernere von beiden. Makart vermochte sich bisweilen als Schönheitsmaler nicht genug zu
thun, Tilgner konnte bis ins Häßliche, ja fast ans Karikierende aufrichtig sein. Beider Kunst kam dem nervösen
Bedürfnis der Zeit entgegen: Makart durch wundervolle koloristische Accorde, Tilgner durch seine, dem Augen-
blick abgelauschte Leitmotive der Menscheubilduerei. Schweigend berauschte sich der malende Hans in seiner duft-
schweren Farbenmusik, plaudernd und räsonnierend holte sich der modellierende Viktor aus dem lebendigen
Verkehr die Einzelzüge, welche seine Kunst brauchte. Makart hat die Sehnsucht nach Wirklichkeitskunst nicht
empfunden, Tilgner, vom Alltag und seinem trügerischen Reiz übersättigt, starb am verzehrenden Ehrgeiz nach
Jdealplastik, nach dem .... Mouumentalwerk.

Die Kunst für Alle XIII, 2. isö. Oktober 189?.

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