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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Schumacher, Fritz: Aus meinem Londoner Skizzenbuch, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0038

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Aus meinem Londoner Skizzenbuch, von Fritz Schumacher.

Ausstellung vereinigt sieht, ist der hauptsächlichste Ein-
druck der des Harmlosen. Nirgends giebt seltsame
Technik, extravagante Farbengebung oder dunkle Kunst-
philosophie dem Publikum Rätsel aus; wir sehen kein
Bild, das mehr für den Künstler als für den Laien ge-
malt zu sein scheint. Das ist die Art, wie der prak-
tische Engländer sich in der Kunst zeigt. —

vikior Tilgner sec.

Es gehört eine Art abgekürzten Sehens dazu, um
ein dekorativer Künstler zu sein. Man beachte einmal,
wie Walter Crane in seinen Entwürfen das bunte Ge-
fieder seines Lieblingstieres, des Pfauen, verschieden be-
handelt: es ist jedesmal eine andere Zusammenstellung
von Farbcntönen, von denen vielleicht kein einziger wirklich
im Schweife des Pfauen vorkommt, und es sind jedes-
mal nur ganz wenig Nuancen, die zusammengestellt sind;
und doch hat man einen unbedingt naturwahren Eindruck,
weil der Künstler durch die Farbenwahl des Gesamt-
entwurfes unser Auge schon unvermerkt zu einer anderen
Wertung aller Farbentöne gestimmt hat. —

Es ist unwahr, wenn die Aesthetiker behaupten,
daß irgend eine Farbe einen bestimmten Eindruck auf
unser Gemüt macht; je nach der Zusammenstellung kann
derselbe Ton uns heiter oder düster erscheinen. Das ist
eigentlich selbstverständlich, wird aber in der architektonischen
Dekoration noch lange nicht genug ausgenutzt. —

Niemand, der ehrlich ist, wird das indische Museum
verlassen können, ohne an der Gottähnlichkeit seines
Europäertums irre geworden zu sein. Die Engländer
haben hier viel gelernt. Die eigentümliche Farbenzu-
sammenstellung von gebrochenen blauen und grünen Tönen,
von rostbraun mit gelb und rot, die ihre Dekorations-
kunst beherrscht, ist indischen Majoliken und Stoffen ab-
gelauscht. Auch die neueste Seidenstoffmode, leichte
blumenartige Muster, die auf einem helleren Hintergrund
wie ausgelaufen erscheinen, ist unverfälschten indischen
Ursprungs. —-

Das hauptsächlichste Prinzip der Dekorationskunst
ist der Wechsel einfacher Linien mit buntem Formenspiel.
Darin liegt das Geheimnis, warum Mohn und Lilie in
der englischen Dekoration so bevorzugt werden. Kaum
eine andere Pflanze zeigt diesen Unterschied so deutlich
in der verschiedenen Bildung ihres Körpers und ihres
Kopfes. —

Eine der sichtbarsten Folgen, welche die präraphae-
litische Bewegung im allgemeinen englischen Leben zeigt,
ist die Verdrängung schwerer Plüsch- und steifer Atlas-
stoffe durch feinfaltige, bewegliche Mousseline, Matras und
weiche Seide. Nirgends zeigt sich das vorteilhafter, wie
im englischen Ballett, wo das lange Gewand unsere in
der Art von Tintenwischern konstruierten Röcke längst
verdrängt hat. Wenn hier in immer neuen Formen und
Schattierungen die feinen Falten den Körper umschmeicheln,
sieht man erst, daß der Tanz ein Recht daraus hat, unter
die Künste gerechnet zu werden. —

Es läßt sich nicht leugnen, daß das feinfaltige prä-
raphaelitische Gewand im Gegensatz zur antikisierenden
Art, den Körper in großen monumentalen Faltenlinien
zu zeigen, einen dekorativen Zug in die englische Plastik
gebracht hat. Wenn dieser Zug bewußt weitcrgebildet
wird, kann er für die Architektur sehr befruchtend wirken.

Es ist ein wesentliches Moment des undefinierbaren
künstlerischen Feingefühls, den Grad der Ausführung eines
Kunstwerkes seinem jeweiligen Zweck und Ort anzupassen.
Eine skizzenhafte Behandlung kann am rechten Orte mehr
sagen, als das mit größter Vollendung durchgeführte Werk.
Wenn vor allem die architektonische Plastik doch lernen
wollte, daß sie am meisten wirkt, wenn sie es versteht
zu skizzieren, ohne darum roh zu bleiben; die malerische
und bezaubernde Wirkung mittelalterlicher Bauwerke be-
ruht zum großen Teil darauf, daß hier dieses Taktgefühl
vorhanden war. —

Wer sich überzeugen will, daß er sich nicht zu
schämen braucht, gar keinen historischen englischen Bild-
hauer zu kennen, braucht nur die Denkmalskolonien von
Westminister und St. Pauls zu durchwandern. Ein Mann
macht eine staunenswerte Ausnahme, Flaxman, der zeit-
lich und stilistisch in seinen Zeichnungen ein merkwürdiges
Analogon zu Carstens und in seinen Skulpturen zu
Schadow bildet. —

(Ein zweiter Artikel folgt im nächsten Heft.)
 
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