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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Hann, Pauline: Löwen auf der Flucht: eine Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0081

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58

Löwen auf der Flucht. Line Uünstlergeschichte. von H. ksann.

Gestalten, die wir gesehen, von Leben erfüllt, von dem
Leben, das wir ihnen gaben, uns grüßen, und wir uns
zurufen: Das ist dir gelungen! Und wenn man unser-
einen auf einen Thron setzte und die Herrschaft über
Tausende von Menschen anböte, wir tauschten nicht.
Sie sind Künstlerin, Sie müssen das begreifen, wenn
auch meine Braut es nicht begreifen konnte und wollte."

Sie wich wie in großer Bestürzung seinen Blicken aus.

„So mag es dem echten Künstler zu Mute sein",
sprach sie leise, „ich kenne jemanden, den minder edle
Impulse leiteten, der sich der Kunst in die Arme warf,

Der Herr Land rat. Skizze von Lerd. Brütt.

aus Aerger, aus Durst nach einer kleinlichen Rache, um
einmal Abrechnung halten, einem anderen zurufen zu
können: ,Was du konntest, kann ich auch, ich, das un-
bedeutende Kind aus Philisterhause. Theaterprinzessinnen
sind dir ein Graus; deshalb gehe ich zur Bühne.' Aber
bei so erhabenen Gefühlen erscheint man sich, besonders
wenn die scharfsichtige Kritik von künstlerischer, tiefdurch-
dachter Auffassung, von einer völligen Hingabe, einem
Aufgehen in seiner Rolle faselt, als rechter Humbug."

„Sie sprechen nicht von sich, mein Fräulein!" rief
er erschrocken aus.

„Vielleicht; doch verzeihen Sie die ungehörige Ab-
schweifung", versetzte die Sängerin, „und erklären Sie

mir eines: wenn Sie volle Befriedigung in Ihrer Kunst
finden, weshalb lassen Sie sich vom Schatten eines un-
bedeutenden, kleinen Mädchens quälen?"

Er sprach mit einem melancholischen Lächeln.

„Hier spielen, wie in den meisten menschlichen
Dingen, gemischte Motive. Eines derselben beruht auf
der nackten Selbstsucht, das andere auf der reinen
Nächstenliebe. Das Bessere zuerst: Das kleine Mädchen
hat sich nicht so schnell getröstet, wie ich es verdient
hätte. Sie verfiel in ein Nervenfieber und schwebte
monatelang zwischen Tod und Leben."

„Gewissensbisse also? Sie wird seitdem um so ge-
sünder geworden sein. Und das andere Motiv?"

„Mein Haus ist leer. Ich bin ein einsamer, ver-
drossener Geselle. Der Künstler mag befriedigt sein, aber
der Mensch darbt."

„Nicht jeder hinge so zäh an einer Jugendliebe,
über welche längst Gras gewachsen ist", murmelte sie
mit gerührter Stimme.

„Wenn sich mir jemals ein neues Glück nähern
wollte, dann wich ich ihm aus, denn mein Schatten
führte eine nachdrückliche Sprache: Um deiner Kunst
willen hast du mich aufgegeben. Jetzt bleibe deiner
strengen Herrin treu, sonst war deine Beteuerung, daß
du unter einem unwiderstehlichen Zwang gehandelt,
eine Lüge."

„Und wenn der Schatten Dich selbst losspricht",
sagte lachend und weinend zugleich die Sängerin. Sie
stand auf und schlug den Schleier von ihrem schönen
Gesichte zurück.

Er fuhr in die Höhe:

„Grete! Großer Olymp und alle neun Musen,
Grete!" Er riß sie an sich. „Wo hatte ich meine Augen?"

„Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich bin bei-
nahe eine alte Jungfer geworden."

„Du bist jünger und hübscher als je, aber so ver-
ändert."

„Das Nervenfieber hat mir Gestalt und Gesicht
gestreckt. Die blonden Zöpfe schnitt man ab, und das
Haar ist kraus und dunkel nachgewachsen. Aber die
Stimme hättest du erkennen sollen, wenn es wahr ist,
daß mein Schatten zuweilen nachdrücklich Zwiesprache
mit dir Pflog."

Arm in Arm kehrten sie nach Krummdorf zurück.
Und so geduldig waren sie geworden, daß sie abends
Serenade, Toaste und Feuerwerk ertrugen, ohne mit den
Wimpern zu zucken.

Aber am nächsten Morgen sind sie zusammen ab-
gereist, denn die Krummdorfer Begeisterung hatte eine
gefährliche Höhe erreicht, als es bekannt wurde, daß die
beiden Löwen ein Brautpaar seien.

---<xx> Nphsvismen.

Rascher Lrsolg wirkt meistens wie ein heißes Frühjahr:
er lackt tausend Blüten in kurzer Zeit hervor, aber ihm folgt
nicht ein fruchtreicher kserbst.

Lin Weib kann den Rünstlergeist beflügeln; die Weiber
richten ihn zu Grunde. Diese Wahrheit hat sehr wenige Aus-
nahmen. (V. v. teixner, Aus meinem Zettelkasten.)
 
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