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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Schultze-Naumburg, Paul: Jan Coorop
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0120

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Jan Toorox. von Paul Tchultze-Naumburg.

werden. Die Bibel bringt ihm dort neue, anders geartete
Eindrücke, denen er sich lebhaft hingiebt. Als er sein
17. Jahr erreichte, bestimmten seine Eltern, daß er seine
Ausbildung in Europa fortsetzen sollte. Als sie in Ba-
tavia ankamen, um ihrem Kinde ein letztes Lebewohl zu
sagen, hatte das Schiff, in dem Jan sich nach Europa
einschiffen sollte, schon den Hafen verlassen.

Im Dezember landet er in Plymouth. Christmas
und erster Schnee! Im Frühjahr geht er nach Leyden
auf ein College, später nach Delft :c. :c. Sein Studien-
gang geht darauf hinaus, später, wie sein Vater es
wünschte, wie dieser selbst in den holländisch-indischen
Administrationsdienst einzutreten. Aber hier in Holland,
unter dem Einfluß der Meisterwerke abendländischer Kunst,

erwacht sein alter Trieb zur Malerei von neuem und er
ruht nicht eher, als bis er seinem Vater die Erlaubnis
abzugewinnen weiß, sich ganz der Kunst widmen zu dürfen.
Von 1881 ab studiert er auf der Akademie zu Amsterdam
und Brüssel und debütiert 1885 mit einem Bilde, in dem
er jener krassen naturalistischen Richtung, wie sie damals
in der Zeit lag, seinen Tribut entrichtet.

Während eines längeren Aufenthaltes in London hat
er Gelegenheit, neben Turner die primitiven Italiener
kennen zu lernen. Er schwankt zwischen zwei Idealen
— die Scenen des Londoner Lebens in den Straßen
und auf der Themse reizen ihn auf der einen Seite —
die Gesichte, die ihn von Jugend auf verfolgen, auf der
andern. Nachdem er Puvis de Chavannes kennen und
verehren gelernt, schließt er sich ganz der Gruppe der Neo-
Jmpressionisten und der Pointellisten an und versucht in
rastloser Arbeit dem Ausdruck zu geben, was in ihm
nach Gestaltung drängt. Es entsteht das Bild „Die neue
Zeit", das großes Aufsehen macht. Nach Brüssel zurück-
gekehrt, wird er einer der Gründer der „Societe des
Vingts", bis er im Haag seinen endgültigen Wohnsitz findet.

Das sind im großen die Umrisse seines Lebens. Es
ist leicht begreiflich, wie die Werke dieses Mannes ein
anderes Gepräge bekommen haben, als die eines solchen,
dessen Jugendeindrücke nicht von denen bei uns land-
läufigen abweichen. Man wird nun hier vielleicht fragen:
was will denn Toorop mit seinen so herausfordernd ab-
strusen Gebilden?

Die meisten der ausgestellten Bilder nennt Toorop
selbst „Vorlagen". Es sind also Entwürfe für eine
andere, kompliziertere Technik und sie gehen meist auf
feine dekorative Wirkung aus, so daß das Seltsame, was
in das Bild hineingeheimnißt zu sein scheint, ganz in
den Hintergrund tritt. So ist das a. S. 93 reproduzierte, mit
dem Titel „Wehmütige Klage...." versehene Bild ledig-
lich als Entwurf für bemalte Kacheln zu denken; und
wenn ich ganz vorurteilsfrei sein will, so muß ich die
große ornamentale Schönheit zugestehen, besonders wenn
man vergißt, daß diese dekorativen Linien Leiber vor-
stellen sollen. Aber auch dann — können wir doch auch
bei rudimentären Kunstprobeu wilder Volksstämme einen
gewissen ästhetischen Genuß haben. Bei alledem: ich
möchte beileibe nicht diese sonderbaren Schwärmereien
Toorops als etwas allgemein Erstrebenswertes hinstellen
— nur zu erklären versuchen möchte ich sie und davon
abhalten, sie nicht ernst zu nehmen.

Dann die Zeichnung „Sehnsucht und Genügen",
welche als ein Entwurf für ein Glasfenster bezeichnet ist.
Auch hier wieder sind prächtige ornamentale Einfälle von
großer Schönheit; ebenso wie iu den beiden Augen die
Empfindung der „Sehnsucht" zwingend zum Ausdruck
gebracht ist.

Wenn dann die Zeichnung „Unsere Zeit" bedenklich
auf das Gebiet des Bilderrätsels hinüberleitet, so finden
wir auf anderen wieder das gerade Gegenteil: ent-
zückende Feinheiten der Zeichnung und ein tiefes Natur-
empfinden — wie bei dem „Beim Säemann", von dem
ich zwar auch nicht erraten kann, was es vorstellt; und
noch mehr bei einem hier nicht reproduzierten Porträt
eines alten Mannes.

Eine große Anzahl seiner Entwürfe hat Toorop
für Fresko-Ausführung bestimmt — es wird ihm aller-
dings Wohl in Holland kaum leichter sein, eine Wand-
fläche dafür zur Verfügung gestellt zu erhalten, als dies
in Deutschland der Fall sein würde.

Von dem, was Toorop selbst über seine Kunst sagt,
dürfte vielleicht manches interessieren. Er hat sich ein
ganz eigentümliches System zurechtgelegt, das er, ohne
daß es eigentlich neu wäre, bewußt anwendet. „Lang-
sam bin ich darauf gekommen", sagt er, „in meinen
Werken mein transcendentales Ich wiederzugeben, indem
ich den Ton der Farben reinigte, in Form und Linie
Bedeutsames von Belanglosem trennte, um stärkere Ein-
drücke hervorzubringen." Er ist rein Farbensymboliker.
So z. B. wählt er, um den Eindruck des Crescendo
hervorzubringen, um eine leidenschaftliche Steigerung,
einen dramatischen Effekt zum Ausdruck zu bringen, zwei
Komplementärfarben, z. B. rot und grün. Will er dann
eine Abschwächung Hervorrufen, so schiebt er den auf der
Skala dazwischen liegenden Ton ein, hier also blau.
Daß dadurch, besonders da Toorop meist nur mit wenig
Farben gleichsam kolorierend arbeitet, eine gewisse Wir-
kung erzielt werden kann, darf man nicht leugnen.

Und noch etwas muß anerkannt werden: Toorop
 
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