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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Gronau, Georg: Sieben Bilder von Burne-Jones zur Legende vom heiligen Georg
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0237

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Sieben Bilder von Bnrne-Iones zur Legende vom heiligen Georg.

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der Legende des heiligen Georg an. Welcher litterari-
schen Vorlage der Künstler gefolgt ist, vermag ich nicht
anzugeben; von der bekannten Version, wie sie in der
„goldenen Legende" vorliegt, weicht seine Darstellung
wiederholt ab. Das erste Bild, gewissermaßen das Vor-
spiel, macht uns bekannt mit der Heldin, der Königs-
tochter. Ein anmutiges Jungfräulein wandelt langsamen
Schrittes durch den Garten; dunkle Stämme, vor denen
Rosen in üppiger Fülle blühen, schließen den Grund;
an hohen Blüten streift ihr Gewand hin. Das Drama
selbst beginnt mit dem zweiten Bild, der Bitte an den
König. Die Abgesandten des Volkes knicen vor dem
Herrscher hin, der finster in sich versunken sitzt; ver-
gebens haben sie ihr Vieh, dann ihre Kinder dem Drachen
geopfert; er heischt neue Opfer und dem König wird
bange für sein einziges Kind. Auch auf diesem Bilde
füllen Blüten den Grund, hohe weiße Lilien; und reich
mit Früchten behangene Bäume ragen über die Mauer
herein. Und die Königstochter trifft das Los, für die
Stadt sich zu opfern! Mit den anderen Jungfrauen
steht sie, erhöht über der Masse, die mit atemloser
Spannung — man beachte die vorgeneigten Köpfe! —
dem Vorgang folgt. Der Priester, aus dessen Hand sie
das Los gezogen, verbirgt sein Empfinden hinter un-
beweglichen Zügen; aber der nächststehenden Jungfrau
scheint ein Schrei entfahren zu sein; wie beschwichtigend
drückt ihr die Prinzessin die Hand (drittes Bild). Von
kerzentragenden Jungfrauen geleitet, schreitet die Königs-
tochter dem Tod entgegen, ruhig und gefaßt; vor ihr her
gemessenen Schrittes ein Krieger mit geschulterter Lanze
— stumm drängen im Grund der Straße die Frauen
(viertes Bild). Das fünfte Bild, das schönste der Serie,
zeigt uns die Jungfrau zum Tod bereit, an einen Baum
gebunden. Sie steht ganz verlassen, niedergebeugt, auf


blumiger Wiese: weit zurück öffnet sich ein Wald, indem
langsam sich die Gefährtinnen, die Kerzen in der Hand,
entfernen; im Schreiten wendet sich die eine noch einmal
um. Doch schon ist der Retter da. Im sechsten Bild
tritt nun endlich der Heilige auf, der der ganzen Serie
den Namen gab. Wir haben nichts von ihm gewußt,
und so wirkt sein plötzliches Erscheinen auf uns wie ein
Wunder. Der Kampf mit dem Ungetüm war hart, und
in Splittern liegt die Lanze am Boden. Mit seinem
Degen, von seiner guten Rüstung geschützt, giebt Sankt
Georg dem Drachen den Todesstoß. Die befreite Königs-
tochter ist auf die Knie gesunken und faltet zum Dank-
gebet die Hände. Ein lichter Hügelgrund bietet den
passenden Abschluß für diese freudige Scene, wie der
düstre Wald für die ernste Scene, die voranging. Und
nun herrscht Freude in der Stadt, als die Prinzessin an
der Hand des Siegers, der sein Schwert schultert, un-
versehrt hcimkehrt. Jungfrauen streuen Rosen vor ihr,
und Instrumente ertönen ihr zum Preis; Kopf an Kopf
drängt sich die Menge!

Mit feinem Takt hat der Künstler die fruchtbarsten
Momente der Sage zum Gegenstand der Darstellung ge-
macht. Man beachte, wie der Cyklus mit einem weichen,
lyrischen Bild beginnt, wie im zweiten Gemälde die
Exposition des Dramas gegeben ist, sodann ein hoch-
dramatische Scene folgt. Es schließt sich daran ein Bild,
das anmutet wie das Wort des epischen Dichters oder
auch wie der Bericht eines Boten, den wir so oft
im antiken Drama eingefügt finden. Wundervoll lyrisch
dann das nächste Bild, die gefesselte Jungfrau auf der
Wiese, in dem eine Stimmung Figuren und Landschaft
beherrscht. Der Kampf mit dem Drachen, die Befreiung
der Jungfrau löst die dramatische Spannung, und wie ein
frohgemutes Nachspiel beschließt der festliche Einzug in
die Stadt den Cyklus. Als ein festgefügtes Ganze, in
welchem man die tiefe künstlerische Einsicht empfindet,
erscheint der Kreis dieser Bilder.

Für die Kunstrichtung Burne-Jones' sind die Ge-
stalten, die vor uns auftreten, ungemein charakteristisch.
Seine Frauen sind wie eine Weiterbildung jenes von
Rossetti geschaffenen Typus: hohe, schlanke Figuren mit
weichen Gliedern, doch nicht ohne Fülle; blasse Gesichter
mit vollen Lippen und mit jenen seltsam kalten Augen,
welche nicht der Spiegel der Seele zu sein scheinen —
es sei denn, daß diese Frauen keine Seele haben. So
oft hat man Botticellis Namen vor diesen Frauengestalten
nennen hören, daß es wie eine Banalität klingt, wenn
man ihn einmal mehr anführt; aber fast wider Willen
drängt er sich uns auf die Lippen. Und doch erkennt
man auf den ersten Blick die englischen Frauen wieder
in dieser Königstochter und in ihren Begleiterinnen, die
sich alle so ähnlich sehen, als hätte sie alle dieselbe Form
geprägt! Das Weibliche glückt der Kunst des Meisters
charakteristischer als das Männliche, das unserm Ge-
schmack häufig in seinen Bildern weich und zart vor-
kommt. Gleicht dieser Sankt Georg — dem ja aller-
dings auch die Renaissancekunst fast immer den Schimmer
der anmutigsten Jugend mitgiebt — nicht allzusehr einer
in Männerrüstung gesteckten Frau? Nur in dem zweiten
Bild der Bürger vor dem König sind die männlichen
Gestalten individualistisch gebildet; im Sinn der reiferen
Frührenaissance hat der Künstler verschiedene Charaktere
nebeneinander gestellt, unter denen uns die Figur des
 
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