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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Ruhemann, Alfred: Das Relief "Die menschlichen Leidenschaften" von Jes Lambeaur
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0308

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2q2

Das Relief „Die menschlichen Leidenschaften" von Ies Lambeaux.

lichen Künstlerschaft, wie von einem Einkommen. Es
schimmerte ihm Wohl etwas von dem Modernen in der
Kunst vor, aber er legte dieses Gefühl falsch aus und
verwirklichte es durch Schaffung vieler Kindergruppen in
moderner Gewandung. Er übte sich damit gleichzeitig in
der Beherrschung der bildhauerischen Formen und Linien,
dieses war aber auch der einzige Gewinn, den er aus


dieser Periode zog. Die naiv philiströse Luft Antwerpens
hätte unbedingt tödlich auf den ferneren Bildungsgang des
nach einem ungebundenen Leben sich sehnenden Künstlers
eingewirkt, wenn ihm nicht als ein rettender Engel Jan
Van Beers erschienen wäre, der kecke Maler moderner
Frivolitäten, der schon damals Paris bewohnte. Jan
Van Beers entzog Lambeaux zwar auf ein Jahr der
ausübenden Bildhauerei, indem er ihn als Gehilfen an
das eigene Atelier fesselte, aber er hat sich damit das
große Verdienst erworben, Lambeaux die prickelnde Luft
des Pariser Realismus kosten zu lassen. Diesem war
auch das dortige Milieu noch nicht das richtige, wenn-
gleich er sich auch in Paris die Eleganz und den Schwung

der Zeichnung erworben hat. Es lag ihm noch zu viel
Unnatur in der französischen Realistik und Ausschweifung,
er lechzte darnach, die Natur als den Urborn alles Mensch-
lichen bilden zu können. In den wenigen Werken, die
er in Paris schuf, so namentlich „Der Blinde", hatte
Lambeaux jedenfalls bereits alle Naivetät seiner ersten
Arbeiten abgestreift und der kühne Realist begann sicht-
bar seine Löwentatze zu zeigen. Vielfach enttäuscht
kehrte Jef Lambeaux nach Belgien heim. Er ließ sich
diesmal jedoch in Brüssel nieder, um die Wogen seiner
Neuerungsideen über — eine Reihe Wachsfiguren zu-
sammenbranden zu lassen. Aber selbst dieses kaufmännische
Vorhaben glückte nicht, und schon dachte der neunund-
zwanzigjährige Mann daran, seine Werkzeuge in das Meer
zu werfen und Seemann zu werden, als einige edle
Männer sich zusammenthaten und ihm die Gelder zur
Ausführung einer seiner vielen Ideen vorschossen. Und
da schuf er sein erstes unvergängliches Werk, den „Kuß",
bald darauf die „Ringer"; von beiden Werken ist in der
„Kunst für Alle" bereits gesprochen worden. Und noch ein-
mal griffen die Gönner Lambeaux' in die Taschen, nachdem
der „Kuß" für das Antwerpener Museum mit 3500 Franken
erworben worden war, um den Künstler nach Italien
zu senden. Dort, angesichts der Werke Michelangelos,
vor allem des gewaltigen Johann von Bologna, legte er
den Grund zu einer dritten Periode, man kann sagen,
zu der der höchsten Vollendung. Er blieb nur kurze
Zeit im Süden und als er wieder im trauten, stillen
Brüssel angelangt war, da schenkte er der Welt und seiner
Vaterstadt als das erste Erzeugnis seiner aufrührerischen
Phantasie den klassischen Brunnen des „Brabo", der vor
dem Stadthause der Scheldestadt steht. In Florenz hatte
er das erlösende Wort für seine Kunst gefunden, die ihn
seitdem zum würdigen Enkel der großen Niederländer ge-
stempelt hat: die Kunst der gewaltigen, bewegten Linien-
führung, der malerischen Komposition in der Plastik und
der rücksichtslosen Offenbarung des Schönen in der Natur,
in der Nacktheit, vereinigt mit dem lebensfrohen, unbe-
kümmerten und doch wieder auch sittlich ernsten Tempera-
ment des echten Vlämen.

Aus diesem Kernholze ist der Mann geschnitten, der
vor zehn Jahren die erste Hand anlegte an das Riesen-
werk des Reliefs der „Menschlichen Leidenschaften", dessen
Ausführung in Marmor für Rechnung der belgischen
Regierung ihrer Vollendung entgegengeht. Wenige Monate
noch und der Abguß des Werkes wird seine Runde durch
die Museen und Großstädte der Welt machen; er wird
Stürme der Bewunderung und der Kritik entfesseln, es
ist also hier nicht mein Amt, dem Urteile der Oeffent-
lichkeit vorzugreifen. Ich kann eben nur, unterstützt von den
hier gegebenen Abbildungen, im voraus empfinden lassen,
was die „Menschlichen Leidenschaften" darstellen sollen.
Und dazu genügen wenige Worte. Es ist das ebenso
erhabene wie fürchterliche Gedicht des menschlichen Lebens,
das uns hier dieser Dichter des Meißels singt. Von den:
Augenblick an, in welchem der erste Mensch durch die
eigene Thorheit aus dem Paradies gestürzt und seinen
dämonischen Leidenschaften überliefert wird, bleibt er bis
zur Stunde, in der ihm mitleidslos die alles glcichmachende,
schreckliche Gestalt des Todes erscheint, ein Werkzeug
seines Verhängnisses, dessen versöhnliche Töne durch grelle
Mißaccorde übertönt werden. Und zwar ist sein größtes
Verhängnis dieselbe Liebe, die das Kind auf dem Schoße
 
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