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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Schaarschmidt, Friedrich: Eduard von Gebhardt: (zum sechzigsten Geburtstag des Künstlers, 13. Juni 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0328

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Eduard van Gebhardt.

zu stände gebracht, in der Form des Orientbildes ein andächtiges
Bild zu malen, warum verlangt man denn das von mir? Malen
wir denn nicht als Deutsche für Deutsche?"

Was Gebhardt im Gegensatz zu den Gestalten der Nazarener
seine hausbackenen Menschen nennt, das ist nun freilich das Resultat
einer nicht minder wichtigen Seite seiner Kunst, die ihn von der
bisherigen Heiligenmalerei scheidet und ihm einen Platz neben den
großen alten Meistern sichert, deren Kostüm und Kolorismus er mit
so großer und wohlbedachter Vorliebe anwendet. Es ist das jene
unbefangene und energische Naturbeobachtung, wie sie die Düssel-
dorfer und überhaupt die deutsche Malerei zu der Zeit, als Gebhardt
begann, kaum noch kannte, die dem Künstler, wie allen Bahnbrechern,
zuerst die schärfsten Angriffe, sehr bald aber ebenso rückhaltlose An-
erkennung eingetragen hat. Gebhardt selbst sucht diese Hinneigung
zu einem scharfen Beobachten und treuen Wiedergeben der Natur
sehr richtig aus den Eindrücken seiner frühesten Umgebung zu er-
klären. „Ich habe das Glück gehabt", schreibt er einmal, „unter
Menschen aufzuwachsen, deren Mienenspiel merkwürdig ausgebildet
war, und von diesen Eindrücken zehre ich noch. In den Gesichtern
meiner Mutter, Tante und Schwestern konnte man förmlich lesen.
Meiner Tante, die mich unterrichtete, konnte man die französischen
Vokabeln fast vom Gesicht ablesen. Es machte mich aber auch zer-
streut; ich weiß noch, daß ich mich als sechsjähriger Junge auf das ?1n8Hnex>arka.it nicht besinnen konnte, weil
ich abwechselnd die „Sorgenfalte" ihrer Stirn, die zitternden Lippen und die brennenden Augen ansehen mußte.
„Was würde aus den Augen herauskommen, wenn man dahineinsticht?" Der Gedanke lag mir deshalb nahe,
weil mein Vater, wenn ein Ochse geschlachtet wurde, ein Auge kommen ließ, es zerlegte, um uns die Bestand-
teile zu erklären. Ich weiß noch, daß meine Mutter, wenn eine Predigt gelesen wurde und zufällig Besuch da
war, die Tante so setzte, daß die Fremden sie nicht sehen konnten; man hätte denken können, sie wollte die
Predigt mit Gesichterschneiden parodieren. Sie war übrigens, was man so nennt, häßlich. Von diesen Ein-
drücken zehre ich noch."

Schieden den Künstler alle diese Dinge schon rein
äußerlich von den Nazarenern, so ist noch wichtiger für den
inneren Gehalt seiner Bilder der Umstand, daß Gebhardt
Protestant und zwar der Sohn eines lutherischen Geistlichen
ist. In der Atmosphäre des Pfarrhauses der deutschen Ge-
meinde von St. Johannis in Esthland ausgewachsen und er-
zogen, er wurde dort geboren am l3. Juni 1838, mußte ihm
und seiner Kunst das unendlich große Gebiet der Heiligen-
malerei ebenso fremd bleiben, wie die Madonna als heilige
Jungstau.

Im Mittelpunkt seiner Kunst steht, wie in dem seines
Bekenntnisses, Christus, den er freilich wiederum nicht von dem
Standpunkt einer modern-historischen Anschauung, sondern viel-
mehr von dem des orthodox lutherischen, positiven Glaubens
sich denkt und darstellt. Also auch in diesem Sinne ist
Gebhardt dem Reformator Dürer und dem Protestanten Rem-
brandt vielleicht noch mehr verwandt, als den mittelalterlich
katholischen, vlämischen Malern, von denen er so manchen
äußerlichen Zug entlehnt. Man könnte, wenn man die analy-
sierenden Vergleiche auf die Spitze treiben wollte, bei der
Strenge seiner Zeichnung und dem Ernst, dem zuweilen fast
wie gewaltsam herausgearbeiteteu, physiognomischen Ausdruck
seiner Gestalten an Dürer denken, den malerischen Reiz der
Farbe und des Helldunkels auf Rembrandt zurückführen, und
so bliebe von den älteren Vorbildern, den v. Eycks, Roger
v. d. Weyden re. nur das Aeußerlichste seiner Kunst, die Ge-
wandung und die mittelalterlich gedachte Umgebung.

LS8


Ed. v. Gebhardt pinx. (is860).
 
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