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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Voll, Karl: Die V. Internationale Kunstausstellung der "Münchener Secession", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0348

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Die V. Internationale ünnstansstellung der „Münchener Kecession".

von Or. Karl voll.

^Gradmesser für Deutschlands moderne künstlerische
^ Produktion und Anschauung bildeten seit einigen
Jahren die Ausstellungen der Münchener Secession. Nur
konnte man sehen, was unser Geschlecht an neuen
künstlerischen Problemen aufwarf, und darum ist es immer
von mehr als zufälligem Interesse, zu untersuchen, welchen
Gesamteindruck eine Secessionsausstellung macht. Heuer
erhalten wir den Eindruck, daß die neue deutsche Kunst
zahm geworden ist; die Jahre des Anstürmen» gegen
unzeitgemäße Richtungen sind vorbei oder, falls sie je
wiederkommen, so ist ihre Reihe Heuer doch unterbrochen
worden. In dieser Ausstellung wird nicht gekämpft. Die
Gegner möchten gerne daraus den Schluß ziehen, daß die
Secession am Ende ihrer Kräfte sei. Das wird man
jedoch kaum aunehmen dürfen und zwar deswegen nicht,
weil der Charakter der Ausstellung mit nur gar zu deut-
lichen Worten zeigt, daß die junge Kunst sich den Be-
dürfnissen des modernen Lebens anbequemt hat. Sie
verkündigt ja nicht die Ideen oder Launen einzelner
Männer, sondern folgt einem offenkundigen Zug der Zeit.
Darin, daß sie einem allgemein empfundenen Bedürfnis
entgegenkommt, liegt der Unterschied gegen die Zeit der
Gründung der modernen Richtung. Man folgte damals
auch einem Zug der Zeit, aber mehr einem dunklen
Drang, einem unbewußten Sehnen nach Kräf-
tigem und Neuem, einem Sehnen, über das
sich nur wenige klar geworden waren. Was
wir in diesem Jahre sehen, nimmt seine
Berechtigung daher, daß unserem sehr erklär-
lichen Wunsch, die Wohnungen heiter, hell
und behaglich einzurichten, Rechnung getragen
wird, daß ferner auf die Sehnsucht unseres
überhasteten Geschlechts nach Ruhe und
leichtem Genuß so viel Rücksicht genommen
ist. Die heurige Secession huldigt ausge-
sprochenermaßen der dekorativen Malerei.

Der Begriff dekorativer Malerei geht
schon lang von Mund zu Mund; man hat
ihn aber früher meistens in einem anderen
Sinn angewendet als Heuer. Er kann sich
beziehen entweder auf die Technik oder auf
den Zweck der Malerei. In ersterer Weise
ist er schon seit einiger Zeit häufig in der
Praxis vorgekommen. Die Malerei ist zwar
eigentlich die Kunst, die mit Farben auf einer
Fläche die Vorstellung eines Raumes oder
eines in einem — oft nicht sichtbaren —

Raume stehenden Körpers erweckt. Wenn sie
aber auf diese Raumillusion verzichtet, wenn
sie einfach bei der Flächenwirkung stehen
bleibt, wie das die sogenannten stilisierenden
Maler so gerne thaten und wofür uns Heuer
die Silhouetten-Akte Botkines ein beleh-
rendes Beispiel bieten, dann sprechen wir
von dekorativer Malerei. Von dieser Art,
die sich der kolorierten Ornamentzeichnung
vielfach genähert hat, ist diesmal wenig zu
sehen; umsomehr aber von jener Richtung,
die mit dem Bilde, mit der farbengeschmückten

Leinwand zur Dekoration unserer Wohnungen beitragen
will. Sie verzichtet nicht auf Raumillusion, sie bleibt
in den äußeren Grenzen der Malerei. Was sie unter-
scheidet von der großen Kunst ist das, daß sie nicht in
die Tiefen der Seele geht, daß sie nichts sagen will.
Sie will auch keine intimen Empfindungen aussprechen.
Sie will eben nur schmücken. Dieser Verzicht auf Inhalt
geht wohl gar zu weit. Wenn es mich auch freut, daß
die insipide Jnhaltsmalerei der älteren Ordnung hoffent-
lich für immer beseitigt ist, so beunruhigt es mich, Heuer
so verhältnismäßig wenige Bilder zu sehen, die dem Be-
schauer etwas zu sagen haben.

Selbst bei den Porträts finden wir dieses rein aufs
dekorative gerichtete Streben, das auf psychologische Ver-
tiefung und auf kräftige Wiedergabe der individuellen
Formen wenig Wert legt. Die Arbeiten Opplers,
Melvilles und anderer gehören hierher. Von diesen
unterscheiden sich prinzipiell die zahlreichen weiblichen
Bildnisse Habermanns. Hier ist nicht nur individuelle
Schilderung einer bestimmten Persönlichkeit angestrebt,
sondern der Künstler will mit der einzelnen Erscheinung
den allgemeinen Typus der eleganten Dame vom Ende
des Jahrhunderts festhalten. Was nun die sogenannte
technische Seite dieser Bilder betrifft, so ist kein Zweifel,

Die Aunst für Alle, XIII. 18. 15. Juni 1898.
 
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