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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Katsch, Hermann: Vom Theatermaler
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0471

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Z70

vom Theatermaler.

Leinwand sich nach allen Seiten verbiegen würden, wenn
denselben nicht eine steife Gaze einigen Halt gäbe, die
wiederum ihrer schwarzen Färbung und weiten Maschen
wegen vom Zuschauerraum nicht leicht gesehen werden
kann, so daß die Zweige graziös in die Luft hinein zu
ragen scheinen müssen.

Dicht bei den Mädchen steht in emsiger Arbeit ein
junger Mann, ein großes Buch im Arm, welches kost-
bare Abbildungen, wie es scheint maurischer Architektur,
enthält, in der Rechten einen etwa meterlangen Bambus-
stecken, in dessen Spitze ein Stückchen Kohle befestigt ist,
und so mit ausgestrecktem Arm sehen wir denselben zier-
liche Ornamente auf eine unter seinen Füßen befindliche,
große, durch allerlei Kohlenstriche bereits eingeteilte, straff
auf den Fußboden gespannte Leinwand zeichnen (Fig. 3).
Dem fleißigen Treiben zuschauend werden wir plötzlich etwas
unsanft zur Seite geschubst, und uns umsehend, gewahren
wir einen etwa 2 in langen und halb so breiten Karren
auf großen eisernen Rädern als die Ursache der Störung.
An zwei Seiten mit hohen Handgriffen versehen, die
zum Ablegen großer Pinsel eingerichtet sind, enthält
das Gefährt eine stattliche Anzahl dicht gedrängt stehen-
der großer und kleiner Farbentöpfe mit einfachen und
gemischten Tönen, ein rechteckiger, durch tiefere Lage
gegen die Töpfe abgegrenzter Raum ist triefend naß und
schillert in allen möglichen Farben. Nach wenigen
Schritten hält der mit dem Schieben des Karrens Be-
schäftigte still, ergreift einen der meterlangen Pinsel,
stubst in den einen und andern Topf, dazwischen den
Pinsel in mitgeführtem Wasser etwas ausspülend; die

den Gefäßen entnommenen Farbenproben mischt er auf
dem tiefer liegenden Teil und ehe wir noch alles recht
verfolgt haben, streicht die flinke Hand auf der am Boden
befindlichen Leinwand herum. Aha! Der Karren, das ist
also die Palette des Theatermalers! (Fig. 4). Den großen,
zu bemalenden Flächen entspricht das Quantum der Mate-
rialien in den Fässern, das Format der Töpfe, der
Pinsel und der Palette. Wir wenden uns nun einer
großen, wohl 15 bis 20 in langen Leinwand zu, auf
welcher ein Künstler mit Pinsel und einem uns un-
bekannten Instrument herumhantiert, dessen Bedeutung
uns aber schnell klar wird. Wir sehen eine ca. 4 in
lange Latte, eine Art Lineal, in der Mitte verstärkt
und mit einem langen Stiel versehen in der Hand des
Malers; mit rascher Bewegung wird das Lineal,
denn das ist das Ganze, bald da- bald dorthin gelegt,
die flinke Hand zieht mit dem Pinsel daran entlang
Striche, aber aus dem, was da gemacht wird, vermögen
wir nicht klug
zu werden. Ein
verwirrendes
Zusammen-
wirken brauner
und roter Töne,
gelber Striche
und Punkte
liegt vor uns
und unver-
ständlich bleibt
es, nach wel-
chem Plan der
Künstler
arbeitet, keine
Skizze oder
Zeichnungdient
ihm als Anhalt
und doch setzt
er seinen
Spaziergang
malend so rasch
über die enorme
Fläche fort, daß
wir vermuten
müssen, daß er irgendwo im Kleinen das schon fertig
gesehen haben muß, was er, den Plan im Kopf, im
Großen so flink ausführt.

Da erblicken wir, nach allen Seiten Umschau haltend
und nach einer Erklärung für die einzelnen Verrichtungen
und deren Zusammenhang suchend, einen Nebenraum,
an dessen halbgeöffneter Thüre angeschrieben steht: „Ein-
tritt verboten". Ein Fernsprechapparat sowie ein hohes
Gestell mit Büchern fast nur des größten Formates, die
wie Prachtwerke über Galerieen oder Architekturen ans-
schen, sind durch den Thürspalt sichtbar, und das läßt
uns vermuten, daß von hier der Wille ausgeht, der alle
die Leute in dem großen Raum beschäftigt, daß hier
wohl das zu finden sein wird, was uns Aufklärung über
den Zusammenhang und die Bedeutung alles dessen geben
wird, was da genäht, gezeichnet, gemalt und gestrichen
wird. Und so ist es auch; in dem kleineren Atelier des
Meisters sehen wir denselben an einem Tische beschäftigt,
eine Art Puppentheater zu kleben. Mit Tusche und
Feder gezeichnet stellt sich uns eine Bühne im Kleinen
 
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