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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Moderne Kunst in Darmstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0023

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-r^g> MODERNE KUNST IN DARMSTADT -

secessionistischen Gesichtspunkten geleitet
war. In richtiger Erkenntnis der Zeitströmung
hatten die jungen Darmstädter eine umfang-
reiche Abteilung, die das beste der Eckmann,
Berlepsch, Galle u. a. bot, angefügt. Der
Erfolg der Ausstellung, deren Protektorat
der Grossherzog Ernst Ludwig übernommen
hatte, war durchschlagend, durch sie wurde der
junge Fürst, dessen weit über das Mass fürst-
licher Liebhabereien hinausgehende Kunst-
liebe den Näherstehenden längst bekannt

BILDNIS

war, zu weiteren Massnahmen veranlasst.
Der erst dreissigjährige Grossherzog empfindet
sehr temperamentvoll und durchaus künst-
lerisch. Die in verschiedenen Schlössern
vorgenommenen Umgestaltungen von Innen-
räumen, kleine An- und Umbauten zeigen
Geschmack und eine glückliche Hand, zahl-
reiche Reisen aus künstlerischer Veranlassung
und eifriges Sammeln erwarben ihm grosse
Kenntnisse auf allen Gebieten der hohen und
dekorativen Kunst. Nach Herstellung der
prachtvollen Empireräume im alten Residenz-
schloss, in denen die prächtigsten Stücke der
in seinem Besitz befindlichen Möbel und De-
korationsgegenstände vereinigt wurden, Hess
der Grossherzog von den Engländern Ashbee
und Scott im sog. Neuen Palais Wohn- und
Speiseräume herstellen, Eckmann erhielt den
Auftrag zu einem Arbeitszimmer. Im Früh-

jahr d. J. sind nun mehrere Berufungen von
jüngeren Vertretern der angewandten Kunst
erfolgt, es sind dies Hans Christiansen,
bekannt durch seine Zeichnungen für die
„Jugend", Kunstverglasungen u. dergl., Patriz
Huber, Möbelarchitekt, Paul Bürck, Zeichner
für Buchschmuck, Teppiche u. dergl., und
Rudlf Bosselt, Bildhauer und Medailleur.
Ihnen folgten im Herbst noch Peter Beh-
rens, Architekt Josef Olbrich, der Erbauer
der Wiener Secession, und Bildhauer Ludwig
Habich, der einzige geborene Darmstädter
der Gruppe.

Diese Berufungen haben die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich gezogen, einerseits
weil mehrere der Künstler als Vertreter einer
etwas extrem modernen Richtung gelten, dann
aber weil die Organisation der Kolonie eine
neuartige ist. Die Künstler sind durchaus
nicht als Lehrkörper einer Kunstgewerbe-
schule oder dergl. berufen, sondern bilden
eine „frei schaffende Gemeinde". Sie er-
halten vom Grossherzog freie Werkstätten,
sowie aus dessen Privatschatulle ein Gehalt,
bezw. Wohnungszuschuss von verschiedener
Höhe. Es ist den Künstlern zur Aufgabe
gemacht, in kollegialem Zusammenwirken das
hessische Kunstgewerbe in modernem Sinn
möglichst vielseitig zu entwickeln und zu
heben. Sie sind weder verpflichtet, bestimmte
Aufträge anzunehmen noch abzulehnen oder
Schüler auszubilden. Ihrem Schaffen soll in
jeder Beziehung möglichste Freiheit gewahrt
bleiben, sie sind keiner Behörde unterstellt,
sondern stehen in direktem persönlichen Ver-
kehr mit dem Grossherzog. Vorerst in einem
einfachen grossherzoglichen Landhaus provi-
sorisch untergebracht, werden die Künstler
dann in ein allen Anforderungen entsprechen-
des Atelierhaus, dessen Projektierung eine
ihrer ersten Aufgaben sein wird, übersiedeln.
Ihre dringendste Arbeit wird indessen zu-
nächst der Pariser Weltausstellung gelten,
für die sie ein feines bürgerliches Empfangs-
zimmer, zu dem nachträglich auf Wunsch des
Grossherzogs trotz mancher Schwierigkeiten
noch ein schöner, günstig gelegener Raum zur
Verfügung gestellt wurde, ausführen werden.

Die Gründung hat in hessischen Künstler-
kreisen teils durch das Vordrängen einzelner
Mittelpersonen, andrerseits durch die geringe
Berücksichtigung hessischer Elemente vielfach
misstimmt. Für Handwerk und Industrie in
Hessen kann die Gründung dieser Kolonie
nur segensreich wirken, wenn sie hält, was
man sich von ihr verspricht. Dann auch
erst wird man ein Urteil über den Wert der
einzelnen Berufungen fällen können. b-d

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