KATHARINE SCHAFFNER del.
DIE DEUTSCHE KUNST AN DER WENDE DES JAHRHUNDERTS
Von Frierich Pecht
(Schluss v. S. 161)
(Nachdruck verboten)
Höchst eigentümlich und ausserordentlich hat einen Genossen an Fr. Aug. v. Kaulbach,
bezeichnend ist auch die Behandlung, der die Frauennatur noch besser versteht,
welche die Kunst der zweiten Hälfte unseres während die Franzosen aber als hartnäckige
Jahrhunderts dem Christentum angedeihen Naturalisten, trotz Bonnat, Carolus-Duran,
lässt, das die Kunst der Renaissance noch vor- Hebert, Bouguereau, Laurens und vor allen
zugsweise beschäftigt. Während noch Cornelius Meissonnier doch zu eigentlich klassischen
und Overbeck die stilistische Tradition, welche Leistungen nicht kommen, vielmehr immer
der Zopf fast ganz hat fallen lassen, wieder mit sehr modern bleiben. Wenn übrigens Lenbach
aller Strenge aufnehmen, so behandeln die allen Konkurrenten in der Darstellung histo-
Späteren, vorab Ed. v. Gebhardt, Max Klinger, rischer Charaktere überlegen ist, so liegt das
Fritz v. Uhde, also die eigentlichen Vertreter doch zunächst an seinem grösseren Verständ-
der Neuzeit, die christlichen Stoffe ganz ratio- nis derselben, das den meisten übrigen Bildnis-
nalistisch, verlegen sie wohl gar in unsere Zeit malern abgeht. Ebenso findet man auch bei
und in unser Volk, wie Uhde, oder wenigstens anderen Nationen als den Deutschen selten
ins Mittelalter, wie Gebhardt, der einzige gut gelungene naive Charaktere, vorab Kinder,
Strenggläubige unter ihnen. Oder sie behan- wie denn auch die Alten nur einen Luca della
dein dieselbe überhaupt rein atheistisch wie Robbia und eigentlich gar keinen Kindermaler
Klinger. Jedenfalls ist der Bruch mit dem hatten, als Murillo. Die Mannigfaltigkeit der
historischen Christentum ganz vollständig. Charaktere wie besonders des Ausdrucks ist
Nur in einem Stück hat sich die zweite auch hier erst eine Eroberung der aller-
Hälfte unseres Jahrhunderts, wiederum im neuesten Zeit, sie malt erst Sittengeschichte,
Gegensatz zur ersten, ganz an die Malerei genau so wie erst unser Jahrhundert auch
der Vergangenheit angeschlossen. Während den Roman als Sittenschilderer ausbildete,
die sämtlichen berühmten Porträtmaler der Viel zweifelhafter als die ausserordentliche
ersten Hälfte, die Stieler, Krüger, Magnus, Hebung der Kunstproduktion selber scheint
Winterhalter, Amerling, die alten Meister des es auf den ersten Blick, ob das Kunstbedürfnis
Bildnisses wie Tizian, Murillo, Velazquez, der Nation in einem der grossen Steigerung
Van Dyck oder gar Holbein kaum studierten, ihres Wohlstandes entsprechenden Masse
vielmehr in ihrer Färbung sämtlich widerwärtig gewachsen sei? Dennoch fand eine solche
modern blieben, geht allen voran der erste Steigerung des Kunstverbrauches allerdings
Bildnismaler unserer Zeit, der geniale Lenbach, statt, aber sie kam weder der Oelmalerei noch
direkt auf die Alten zurück, macht Tizian und der Skulptur in erster Linie zu statten, son-
Velazquez wieder zu seinen Lehrmeistern. dern vielmehr dem Kunstgewerbe, vor allem
Das haben weder Mengs noch seine Nach- den vervielfältigenden Künsten. Die so rasch
folger gewagt. Die Maler des vorigen Jahr- wohlhabend Gewordenen hatten begreiflich
hunderts ahmten höchstens Rembrandt nach, nicht ihre Kunstbildung gesteigert und noch
ohne damit jemals viel zu erreichen. Lenbach viel weniger ihre Religiosität. Im Gegen-
Die Kunst für Alle XV. 8 15. Januar 1500.
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DIE DEUTSCHE KUNST AN DER WENDE DES JAHRHUNDERTS
Von Frierich Pecht
(Schluss v. S. 161)
(Nachdruck verboten)
Höchst eigentümlich und ausserordentlich hat einen Genossen an Fr. Aug. v. Kaulbach,
bezeichnend ist auch die Behandlung, der die Frauennatur noch besser versteht,
welche die Kunst der zweiten Hälfte unseres während die Franzosen aber als hartnäckige
Jahrhunderts dem Christentum angedeihen Naturalisten, trotz Bonnat, Carolus-Duran,
lässt, das die Kunst der Renaissance noch vor- Hebert, Bouguereau, Laurens und vor allen
zugsweise beschäftigt. Während noch Cornelius Meissonnier doch zu eigentlich klassischen
und Overbeck die stilistische Tradition, welche Leistungen nicht kommen, vielmehr immer
der Zopf fast ganz hat fallen lassen, wieder mit sehr modern bleiben. Wenn übrigens Lenbach
aller Strenge aufnehmen, so behandeln die allen Konkurrenten in der Darstellung histo-
Späteren, vorab Ed. v. Gebhardt, Max Klinger, rischer Charaktere überlegen ist, so liegt das
Fritz v. Uhde, also die eigentlichen Vertreter doch zunächst an seinem grösseren Verständ-
der Neuzeit, die christlichen Stoffe ganz ratio- nis derselben, das den meisten übrigen Bildnis-
nalistisch, verlegen sie wohl gar in unsere Zeit malern abgeht. Ebenso findet man auch bei
und in unser Volk, wie Uhde, oder wenigstens anderen Nationen als den Deutschen selten
ins Mittelalter, wie Gebhardt, der einzige gut gelungene naive Charaktere, vorab Kinder,
Strenggläubige unter ihnen. Oder sie behan- wie denn auch die Alten nur einen Luca della
dein dieselbe überhaupt rein atheistisch wie Robbia und eigentlich gar keinen Kindermaler
Klinger. Jedenfalls ist der Bruch mit dem hatten, als Murillo. Die Mannigfaltigkeit der
historischen Christentum ganz vollständig. Charaktere wie besonders des Ausdrucks ist
Nur in einem Stück hat sich die zweite auch hier erst eine Eroberung der aller-
Hälfte unseres Jahrhunderts, wiederum im neuesten Zeit, sie malt erst Sittengeschichte,
Gegensatz zur ersten, ganz an die Malerei genau so wie erst unser Jahrhundert auch
der Vergangenheit angeschlossen. Während den Roman als Sittenschilderer ausbildete,
die sämtlichen berühmten Porträtmaler der Viel zweifelhafter als die ausserordentliche
ersten Hälfte, die Stieler, Krüger, Magnus, Hebung der Kunstproduktion selber scheint
Winterhalter, Amerling, die alten Meister des es auf den ersten Blick, ob das Kunstbedürfnis
Bildnisses wie Tizian, Murillo, Velazquez, der Nation in einem der grossen Steigerung
Van Dyck oder gar Holbein kaum studierten, ihres Wohlstandes entsprechenden Masse
vielmehr in ihrer Färbung sämtlich widerwärtig gewachsen sei? Dennoch fand eine solche
modern blieben, geht allen voran der erste Steigerung des Kunstverbrauches allerdings
Bildnismaler unserer Zeit, der geniale Lenbach, statt, aber sie kam weder der Oelmalerei noch
direkt auf die Alten zurück, macht Tizian und der Skulptur in erster Linie zu statten, son-
Velazquez wieder zu seinen Lehrmeistern. dern vielmehr dem Kunstgewerbe, vor allem
Das haben weder Mengs noch seine Nach- den vervielfältigenden Künsten. Die so rasch
folger gewagt. Die Maler des vorigen Jahr- wohlhabend Gewordenen hatten begreiflich
hunderts ahmten höchstens Rembrandt nach, nicht ihre Kunstbildung gesteigert und noch
ohne damit jemals viel zu erreichen. Lenbach viel weniger ihre Religiosität. Im Gegen-
Die Kunst für Alle XV. 8 15. Januar 1500.
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