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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Plehn, Anna L.: Der moderne Kolorismus und seine Ankläger
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0262

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-sr4^>- DER MODERNE KOLORISMUS UND SEINE ANKLÄGER

Ton, statt der realistischen Beleuchtung die
effektvolle und statt der Nuance die unge-
brochene Farbe in das Wappen ihrer Kunst
setzen? Wollen sie sich als die Besiegten
bekennen, und sind sie darum die Bekehrten?
Ehe wir so folgern dürften, müssten wir
jedenfalls erst fragen, ob sie denn überhaupt
einmal unter der neuen Fahne gefochten
haben. Von Franz Stuck wird das niemand
sagen wollen. Sein Geheimnis bestand von
Anfang darin, dass er die Mittel der alten
Meister — ob er sie nun bei Italienern,
Deutschen oder Vlamen fand — mit hohem
Geschmack und gewaltiger Kraft als Aus-
druck seiner persönlichen Empfindung ge-
brauchte. Andere, welche altmeisterlich malen,
waren überhaupt keine geborenen Koloristen,
und flüchteten gerne in den bequem selig-
machenden Schoss der altgläubigen Gemeinde.
Die meisten aber, auch wenn sie selbst Farbe
sahen, lockte die Aussicht, so uneingeschränkt
mit der Beleuchtung schalten zu dürfen. Der
Realismus lässt in seinen Gefilden die irdische
Sonne leuchten. In Böcklins Kunst strahlt
sein eigenes Gestirn, aber es spendet stets
ein folgerechtes, einheitliches Licht. Die
Naivität der alten Meister fragte kaum, woher
die Helligkeit komme. Aber diese modernen
Beleuchtungskünstler und scenischen Dekora-
teure bringen ihre Glühlichter und benga-
lischen Flammen an, wo es ihnen beliebt,
und wo sich damit eine starke Wirkung
machen lässt, selbst wenn sie nicht allzu tief
eindringen sollte. Wer empfände es nicht, dass
sich ein heller Frauenleib schmeichelnd und
überzeugend von einer tieftonigen Umgebung
abhebt. Auf die Anwendung dieser Erkenntnis
läuft die sogenannte Bekehrung vieler Kolo-
risten hinaus. Und wenn auch ohne Zweifel
viele keiner anderen Stimme als der ihres
eigenen Empfindens gefolgt sind, so ändert
das nichts an der Thatsache, dass die kühnsten
der jungen Talente bis zu dieser Stunde von
Bekehrung nichts wissen wollen. Sie leben
in ihrer fröhlichen Ketzerei weiter, getrosten
Mutes einer Farbe hingegeben, die von keiner
Autorität, als von ihren eigenen Augen be-
glaubigt ist. Die Ketzer des Heute wurden
aber stets die Religionsstifter des Morgen,
und so wird einst die Farbenanschauung un-
serer Zeit nicht abgeschätzt werden nach den
Anhängern des Alten — so wertvoll auch
diese und jene Leistung einzeln betrachtet
sein mag — sondern nach den Aeusserungen,
in denen sie sich von dem früher Gewesenen
unterscheidet.

Um es wieder kurz zu sagen: die neue
Farbe trennte sich von der alten dadurch,

dass sie biegsamer, abwechslungsvoller und
vor allem heller wurde. Wer, der Ludwig
von Hofmanns blühenden Phantasien mit
fühlendem Auge gefolgt ist, will sagen, hier
sei keine Farbe? Und wenn jemand zwar die
Farbe zugeben wollte, aber den Zweifel hinzu-
fügte, ob diese Farbe auch wie die der Alten
schmückend zu wirken vermöchte, ob das
Fresko grossen Stils in diesen hellen, der
Freilichtnatur nachgedichteten Tönen denkbar
sei, die grosse, dekorative Malerei, auf welche
heute die heisse Künstlersehnsucht sich von
neuem richtet? Was werden wir antworten?

Zwei Arten von Herren sind es, die über
der Menschen Augen gebieten. Die einen
sind die grossen Schaffenden, von denen jeder
mit dem neuen Werk seinen Gesetzespara-
graphen zu dem überlieferten Kodex hinzu-
fügt, manche der darin enthaltenen Bestim-
mungen einschränkend oder ganz aufhebend.
Die andere Art von Gebietern sind die Zeit-
bedingungen, unter denen die Kunstwerke
erscheinen. Sie drücken leise aber unwider-
stehlich ihren Stempel neben den der Schöpfer
selbst auf das Werk. Von den Künstlern
kann man heute schon sagen, dass sie ihren
Willen verkündet haben. Und die unauf-
haltsame Macht der Verhältnisse beginnt be-
reits die Hallen zu formen, die unsere ver-
änderten Sitten und Ansprüche und unsere
veränderte Technik erheischen. Wir werden
nicht mehr Riesendome türmen, deren Pfeiler,
um nur die ragenden Massen zu tragen, dem
Inneren das Licht nur spärlich zufliessen
lassen. Ueberall fordern wir Helle, der
Himmel selbst schaue zu uns durch Glas-
dächer herein. Wenn erst sein reichstes
Geschenk, das Licht, die Wände von allen
Seiten umfliesst, sollte da nicht auch ein
anderer Schmuck an ihnen erscheinen, als
der „Kirchen ehrwürdiger Nacht" angemessen
und herkömmlich war? So wenig dort die
Nuance auch nur bemerkt worden wäre, so
wenig würden in den lichten Zukunftsräumen
die ungebrochenen Töne auch nur erträglich
sein.

Wo die Machthaber sprechen, da fügen
sich endlich auch die Rebellenneigungen.
Gerade jetzt erleben wir solche Revolutionen,
aber sie werden den Gang des Notwendigen
nicht aufhalten.

Wir hoffen mit Woermann, dass die Cranach-
Ausstellung den Erfolg haben wird, einem
grossen deutschen Meister die gebührende
Stellung in der Schätzung der heutigen Gene-
ration zu gewinnen. Aber die ihm geschuldete
Dankbarkeit wird nicht gesteigert durch das,
was der neuen Kunst an Respekt entzogen

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