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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Wolter, Franz: Erinnerungen an Giovanni Segantini
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0312

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ERINNERUNGEN AN GIOVANNI SEGANTINI <ö^~

Alpenweiden in lächelnden Frühlingstagen über seine „Manier", seine Technik ge-
aufgehalten hat, kann die hohe künstlerische schrieben worden! Wie oft wurde der
Bedeutung dieses Einklanges verstehen. Die Künstler selbst von den Einsichtsvolleren
Stimmen, die von den Thälern emporsteigen, getadelt, dass er nicht male wie die Anderen,
die unbestimmten, gedämpften Klänge, die, dass er mühsam strichelnd zu Werke gehe,
vom Winde getragen, um uns ein harmonisches so dass seine Bilder Stickereien vergleichbar
Schweigen bilden, das sich hoch im unend- wären. Und in Wirklichkeit wie einfach war
liehen Räume des blauen, über die schneeigen seine Technik, wenn man nur einmal näher
Bergketten gewölbten Himmels ausdehnt. zusah und sich darüber klar wurde, was der
Das Rauschen der Gewässer und das Murmeln Künstler wollte. Ganz im Gegensatze zu der
der Bäche schmelzen zusammen und ergänzen Malweise der übrigen Kollegen moderner Zeit,
sich mit den Linien, den Farben und dem versuchte er, nur auf andere Art, nicht wie
Lichte des Gebirges zu einem einzigen Klange die alten- Meister durch die Lasurfarben,
grossartiger Grösse. Ich suchte fortwährend sondern durch das Nebeneinandersetzen der
dieses Gefühl auf meinen Bildern darzu- Töne, Leuchtkraft zu erzielen und er wurde
stellen. Die Kunst giebt nur einzelne Züge nicht zum wenigsten durch die ihn um-
der Schönheit wieder und nicht die ganze gebende Natur geradezu auf die Fülle des
harmonische Schönheit. Je mehr das Werk Lichtes und Glanzes der in klare Alpenluft
den Inbegriff aller Eindrücke in einem ein- getauchten Bergriesen hingelenkt. Die an-
zigen Geiste vereinigt und die verborgenen scheinend mühsame Arbeit der kleinen, dicht
Zusammenhänge, die sie miteinander ver- nebeneinander gesetzten Striche, fordern in
schmelzen, wiedergiebt, um mit uns und Wahrheit nicht mehr Zeit und Mühe als
unserer Seele die Seele der Natur zu schaffen, jede andere Malerei. Die ganze „rätselhafte"
desto vollständiger ist es und legt in Wahr- -Technik bestand darin, dass der Künstler,
heit das Leben der Dinge dar, das die erste nachdem er zuerst den vor dem direkten
Quelle aller Schönheit und Harmonie ist." Einschlagen durch Oel geschützten' Kreide-
Diese Zeilen enthüllen so ganz den grossen oder Gipsgrund mit einer dünnen, meist
Künstler, besser als es meine Worte vermögen. rötlichen Lasur überzog, die Zeichnung in
Sie klingen wie ein mittelalterliches Minne- festen Umrissen bis in alle Einzelheiten be-
lied, herb und lieblich zugleich. In seinem stimmte. Nach Feststellung der Zeichnung
Sehnen nach der Verkörperung dieser Bilder, begann das Malen und zwar so, dass Se-
die er erschaute, drängte es ihn, wie jede gantini mit dünnen, langhaarigen Pinseln
grosse Künstlerpersönlichkeit nach einer die reinen, ungebrochenen Farben, je nach
eigenen Sprache, nach einer eigenen Technik, der Erscheinung des wiederzugebenden Gegen-
um das auszusprechen, was ihn tief innerlich Standes auf die Leinwand setzte. Neben
beseelte. Was ist im Laufe der Jahre nicht den einzelnen Strichen Hess er kleine

Zwischenräume, die er, so lange
eine Bindung mit dem Unter-
grunde noch möglich war, mit
Komplementärfarben ausfüllte.
Hierdurch erzielte der Künstler
keine Mischung der Farben in
Wirklichkeit, wohl aber eine für
das menschliche Auge, da die
Netzhaut desselben so beschaffen
ist, dass sie nebeneinander ge-
stellte Farben bei grösserer Ent-
fernung verbindet. Dass auf diese
Weise eine viel grössere Leucht-
kraft der Farben, als durch das
Mischen auf der Palette erreicht
wird, ist ja klar, ebenso auch,
dass es von der Fähigkeit des
Malers abhängt, künstlerische
Wirkung zu schaffen. Nicht ein
Jeder wird, wenn er auch das
„Rezept" kennt, „Segantinische
Schafschur g. segantini dei. Bilder" malen können.

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