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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Voll, Karl: Die Kunst und die Lex Heinze
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0330

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«ü-4^> die kunst und die lex heinze <ö^>-

wirkt so ganz unlogisch und unorganisch, dass
man wohl fragen darf: haben die Einbringer
dieses Gesetzes bei der Aufstellung solcher un-
geheuerlichen Klassifizierung eine bestimmte
Absicht gehabt und welche mag das wohl ge-
wesen sein?

Die Herren sagen, dass sie die Sittlichkeit
unseres Volkes vor dem böswilligen und ge-
fährlichen Angriff schützen wollen, der ihr ja
von seiten einer unlauteren Verwendung der
dem Menschen verliehenen künstlerischen
Fähigkeiten beständig droht. Das Gesetz giebt
aber leider nicht an, was unter unlauter und
künstlerisch zu verstehen sei. Die Absicht
seiner Freunde mag trotzdem gut sein, aber
seine Fassung ist schlecht. Diese ist um so
schlechter, als sich Stellen finden, denen der
schlichte Verstand einen Sinn nicht abgewinnen
kann; dazu gehört vor allem jene, die von
Werken spricht „die ohne unzüchtig zu sein,
das Schamgefühl gröblich verletzen". Dieser
höchst merkwürdige Passus stellt also eine
Art Gegensatz von unzüchtig und schamlos
auf, derart, dass einer der beiden Begriffe
ohne den anderen existieren könnte.

Die wenig glückliche und unvollständige
Fassung des Gesetzentwurfes klingt an sich
etwas verdächtig; wir werden aber allen Grund
haben, über etwaige geheime Nebenabsichten
der Herren von der lex Heinze beunruhigt zu
werden, wenn wir die zu unserem Trost
gebrauchten Versicherungen genau erwägen.
Man will uns glauben machen, dass die Kunst
nicht gefährdet werden soll, es wird uns zu-
gegeben, dass auch das Nackte, überhaupt das
Geschlechtliche Gegenstand wahrer Kunst
sein könne und also im wahren Kunstwerk vor
jeder Verfolgung sicher sei. Die vielen religi-
ösen Kunstwerke der italienischen Renaissance
und des niederländischen Barocks — Rubens! —
aus denen zugleich erhabene Frömmigkeit und
erdenfrohe Stimmung spricht, werden als an-
geblicher Beweis dafür gebracht, dass die
Kirche, besonders die katholische, keineswegs
engherzig gegen die Darstellung des Nackten
sei. Nun gut: wenn man einen Unterschied
zwischen nackt und anstössig macht, wenn
man sogar zugiebt, dass das Nackte in den
Bereich der erhabensten religiösen Kunst
treten darf, warum ist dieser Unterschied
nicht in dem Gesetzentwurf präcisiert!

Dieser Mangel kann durch Uebereilung ver-
schuldet sein; das wäre dann nicht gar schlimm,
aber gut wäre es auch nicht. Er kann auch
daher kommen, dass die Einbringer der Zu-
satzparagraphen nicht im stände waren, die Ge-
biete der Kunst und der strafbaren Schmutzerei
untrüglich genau abzumessen; dann aber ist

es sehr schlimm, dass sie trotzdem gewagt
haben, mit ihren Vorschlägen im Parlament zu
erscheinen. Hier ist es ja mehr als anderswo
unschicklich, über Dinge zu sprechen, über
die man die Unzulänglichkeit seines Wissens
nicht verbergen kann.

Endlich aber ist es möglich, dass in
den berüchtigten Zusätzen zur lex Heinze
mit Absicht nicht deutlich angegeben wurde,
wie weit ihre Wirksamkeit gehen soll.
Das wäre mehr als schlimm; das wäre
frevelhaft.

Wie nun der Fall auch liegen mag: oh
Mangel an Verständnis, ob Ueberfluss an
Galle und Bosheit die lex Heinze auch auf
die Künste ausgedehnt habe, immer ist die
Empörung, die auch die nicht zunächst be-
teiligten Kreise in Deutschland erfasst hat,
sehr berechtigt. Es handelt sich bei Kunst
und Litteratur eben doch um hohe Güter der
Menschheit, um Eigenschaften, deren Besitz
einem Volke zur höchsten Ehre gereicht,
deren Vernachlässigung aber von jeher als
Schande angesehen worden ist.

Abgesehen davon erscheinen mir die Zu-
sätze zur lex Heinze im innersten Grund
unvornehm, weil sie jenen Instinkt des Men-
schengeschlechtes verdächtigen, der nicht ohne
Grund als der stärkste in unsere Natur gelegt
wurde. Man mäkelt an der Freude herum,
die Mann und Weib an einander haben, an
einander zu haben bestimmt sind, man häuft
Schmutz auf jene freie Kraft, die die Mutter
der edelsten Eigenschaften des Menschen
ist: Liebe, Treue, Heimatsinn, Selbstverleug-
nung, Bürgertugend und hehre Opferfreudig-
keit, sie alle liegen begründet in dem starken
Drange, der beide Geschlechter zu einander
zwingt. Mag dieser Drang, eben weil er so
stark ist, mitunter oder sogar oft zu un-
billigem Uebermut führen, mag der Strom,
der durch unser Leben rauscht, auch Schlamm
an seine Ufer spülen, nimmer glaube man,
dass ihn ein von neidischen, bösen und ängst-
lichen Händen gesetzter Damm in ein anderes
Bett lenken könne, als das ihm von Natur
aus bestimmt ist. Türmt Mauern neben ihm
rechts und links, ihr macht ihn wild. Dann
erst verliert er seine Reinheit, dann erst
wird er gefährlich, und dann verliert ihr
auch die Möglichkeit, seine Kraft zum Besten
der Menschheit zu nützen. Er, aus dem
bis jetzt die strahlenden Edelsteine der Liebe
und Treue geschöpft wurden, wird nur noch
den harten, blöden Kies des Knechtsinnes,
den hässlichen Schmutz der Heuchelei aus-
werfen. Und endlich wird er doch seine
Reinheit wiedergewinnen und eure jämmer-

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