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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Voll, Karl: Eugen Kirchner
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0408

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•sr^ö> EUGEN KIRCHNER <ös-s~

EUGEN KIRCHNER del.

An Stelle jener aus der Tiefe des Gemütes
und, um ernster zu reden, aus freier künstle-
rischer Inspiration immer etwas allgemein ge-
haltenen Entwürfe sind die abgerundeten, aus
sorgfältigen Naturstudien hervorgegangenen
Zeichnungen getreten und eine gewisse porträt-
haft individuelle Wirkung. Es herrscht also
jetzt, wo altmodische Leute den Künstlern so
gerne die Vernachlässigung des korrekten
Zeichnens vorwerfen, eine viel grössere Sicher-
heit und Treue als früher und doch sprechen
unsere jetzigen Künstler viel weniger davon
als ihre Vorfahren.

Eugen Kirchner gehört zu diesen jüngeren
Mitarbeitern der „Fliegenden Blätter". Seine
künstlerische Entwickelung ist rasch erzählt.
Vor ungefähr zehn Jahren war er in Berlin
Schüler von Paul Thumann, der wie so viele
akademischen Künstler als Lehrer vorzüglich
ist. Seine Methode besteht darin, die Schüler
vor Extravaganzen zu bewahren und ihnen
einen festen Boden unter die Füsse zu geben.
Was sie dann auf diese gesunde Basis stellen,
überlässt er ihnen und ihrer Individualität. Aus
dieser heilsamen Schule begab sich Kirchner
dann nach München und schloss sich nach
kurzem Suchen der Dachauer Schule an, be-
suchte aber kein Meisteratelier mehr. Draussen
in der schönen Malerkolonie malte er schlichte
Landschaften und arbeitete für ein englisches

Witzblatt. Seine Zugehörigkeit zu München
war von da ab gesichert und umsomehr, als er
vor sieben Jahren in den Stab der „Fliegenden
Blätter" einrückte. Seine erste Arbeit für diese
teilen wir auch hier auf S. 389 mit.

Kirchner's Illustrationen sind sehr bezeich-
nend für den Wandel der Zeiten. Sie geben
nicht stimmungsvolle Situationen wie Schwind
und die älteren das gethan haben. Sie setzen
sich aus gut beobachteten Einzelfiguren zu-
sammen. Unser Heft enthält eine kleine An-
zahl derartiger Studien, die wir, wenn auch
nicht aufs geradewohl, aber doch in Anbetracht
des Reichtums von Kirchner's Skizzenbüchern
mit rascher Hand aus der Fülle des Materiales
genommen haben. Man sieht leicht, dass den
auf Humor stilisierten Illustrationen, wie sie
uns in den fertigen Arbeiten des Künstlers
entgegentreten, ernste und vielseitige Studien
zu Grunde liegen. Es darf aber nicht ver-
schwiegen werden, dass auch diese Skizzen
nach dem Leben nur zum kleineren Teile
Modellstudien im strengen Sinne des Wortes
sind. Die meisten sind ins Heitere transpo-
nierte Erinnerungsbilder, die aus dem noch
frischen Eindruck heraus, aber mit bewusstem
Verzicht auf durchaus scharfe Naturwahrheit
gezeichnet wurden. Die Unmittelbarkeit der
Beobachtung und die Vielseitigkeit des Stoffes
leiden darunter natürlich nicht; der Künstler

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