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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Henrici, E.: Das Laienurteil
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0540

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DAS LAIENURTEIL

der prüfend und erwägend, mit gesammeltem
Geiste ein Kunstwerk in sich aufzunehmen
sucht, der die Ausstellung nicht vom Stand-
punkte einer amüsanten Gelegenheit aus nimmt,
wo man etwas schöngeistige Konversation
macht, neuen Stoff für die nächsten Soiree-
gespräche sammelt, und last not least sich
seinen Bekannten als Kunstverständigen offen-
bart. Und die verhältnismässig geringe Zahl
derer, die um des Studiums der Kunst willen
hingehen, besteht wiederum aus einer grossen
Anzahl Unfähiger, Einseitiger, Anhänger einer
ganz bestimmten Richtung, entweder outriert
Moderner, die grundsätzlich dem Neuen nach-
jagen, oder streng Konservativer, die ängstlich
am Alten festhalten, und das junge, frischauf-
blühende Kunstleben von vornherein nicht
ihrer Beachtung unterziehen. Wie kann es
verwunderlich sein, wenn die Künstler sich
immer mehr in ihrem eigenen engen Kreise
halten, wenn sie die Berechtigung des Laien-
urteils verneinen, und nur noch für diejenigen
schaffen, die Fachgenossen sind. Wenn der
Laie verlangt, vom Berufskünstler als kompe-
tenter Beurteiler anerkannt und berücksichtigt
zu werden, so bilde er sich sein Urteil lang-
sam, schule er sein ästhetisches Gefühl, seinen

Geist auf das Verständnis der Kunst, und kein
Künstler wird ihm die Kompetenz seines Ur-
teils absprechen, ja, er wird das Urteil eines
Unbefangenen für überaus wünschenswert
und notwendig erachten. Der Nichtkünstler
ist für den Berufskünstler gleichsam der un-
beteiligte Dritte, dessen Urteil gänzlich unbe-
einflusst ist von den verschiedenen Richtungen
und Parteien, an denen der Künstlerstand
selbst so überreich ist. Nicht die Künstler
gehen aus Prinzip von dem Standpunkte aus,
die Kunst sei nur für Berufsgenossen, und
das Publikum giebt dieser Richtung nach,
indem es auf sein Urteil verzichtet, sondern
infolge der Gedankenlosigkeit und des Mangels
an Kunstverständnis, mit denen in den meisten
Fällen das Laienurteil gesprochen wird, sieht
er sich veranlasst, fortan nicht für das grosse
Publikum, sondern nur für Berufsgenossen
und Angehörige der eigenen Kaste zu schaffen,
bei denen er Verständnis, wenn auch nicht immer
Unparteilichkeit, voraussetzen kann. Die Kunst
ist zu schade, um zu einer elenden Effekt-
hascherei für das grosse Laienpublikum herab-
gedrückt zu werden. Suche sich der Laie
durch strengere Selbstzucht ein vollwertiges
Urteil zu bilden, folge er mit Verständnis

CARL VINNEN

Ausstellung 1900 der Münchener Secession

522

AM WALDESRANDE
 
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