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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Christoffel, Ulrich: Die Aufgabe des Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0016

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hatten, oder wie später Schwind. Rethel, Böcklin.
Feuerbach in einer schon ernüchterten Zeit aus
eigener Phantasie eine höchst seltsame, herrliche
Bilderwelt hervorbringen konnten, wo jedes Werk
einen neuen Gedanken aus einer natur- oder ge-
schichtsmvthischen Gesamtanschauung formte, und,
wie selbst die etwas derbmaterialistische, aber heute
zu Unrecht verachtete Historien- und Genremalerei
durch ihren unterhaltsamen Bilderreichtum oft die
heftigsten Stürme im Meinungsaustausch der Ausstel-
lungsbesucher hervorriefen. Erst im Impressionismus
verengerte sich der Aufgabenkreis und meist auch die
Schulung der Künstler auf das bloße Malenkönnen.
Die Malerei kann aber nur durch die selbständige
Bildschöpfung aus der Kraft der malerischen Emp-
findung zur Brücke werden, die den Menschen zu-
rückführt zum unbewußten Einssein mit dem Leben
und dem Geiste.

In den Ausstellungen nehmen heute die Landschaften
in der Abwandlung aller Motive aus Wald und Feld
den breitesten Raum ein und es muß zur Ehre der
Künstler gesagt werden, daß sie in der Xatur die stil-
len und einfachen Bilder suchen und sie mit sach-
lichen Mitteln darstellen. So wohltuend diese Bil-
der dem Auge begegnen und so stimmungsvoll sie an
einer Zimmerwand zur Wirkung kommen, es fehlt
ihnen oft das Eine: der Strahl des Kosmischen, den
der Künstler nur aus einer malerischen Gesamtan-
schauung der großen Naturwelt in seinWerk herab-
ziehen kann. Landschaft ist etwas anderes als die
Wiedergabe eines reizvollen Naturausschnittes, einer
schönen Beleuchtung oder einer anziehenden Farb-
empfindung: sie muß der Ausdruck einer Natur-
gesinnung, eines künstlerischen Bewegungs- und
Unendlichkeitsgefühles des Malers sein. Der Maler
muß, was er als wahr und wirklich beobachtet hat,
aus seiner malerischen Empfindung neu erfinden.
Man sieht überall ausgezeichnete und schöne Land-
schaften, aber nur selten lösen sie jenen Schauer des
Wunderbaren aus, durch den eine Tanne von Alt-
dorfer, eine Lilie von Grünewald, das Rasenstück
Dürers oder ein paar Feldblumen von Thoma uns
im Innersten ergreifen können. Man möchte fast
meinen, daß durch die Freilichtmalerei und ein
übertriebenes Modellstudium die Natur zu sehr ent-
schleiert wurde und daß jenes ehrfurchtgebietende
Distanzgefühl, ohne das eine innerliche Landschafts-
anschauung kaum möglich ist, abgeschwächt wurde
oder verloren ging. Die Landschaften müssen Sinn-
bilder, nicht Abbilder der Natur sein. Die großen
Landschaften von Poussin und Ruisdael sind als idea-
listische Bilderfindungen aus einer Sehnsucht nach
einem fernen, weiten Raumganzen der Natur gemalt
worden. Die deutschen Landschaften der Schwind.
Friedrich, Richter und Thoma sind alle von einer
dichterischen Naturfreudigkeit erfüllt, während die
heutigen Naturabschriften oft mehr von einem über-
sättigten Naturwissen als einem ungestillten Natur-
verlangen Zeugnis ablegen. Erst wenn sich das künst-
lerische Bewußtsein vom malerischen Beobachten auf
das malerische Gestalten umgestellt hat, kann das
neue Landschaftssinnbild unserer Zeit entstehen.

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern galt die Dar-
stellung des Menschen als die vornehmste Aufgabe
der Kunst. Unter dieser Darstellung ist aber weniger
die akademische Zeichnung des menschlichen Körpers
zu verstehen als die Erfindung großer menschlicher
Charakterfiguren, wie sie die deutsche Kunst in den
romanischen Domfiguren, den gotischen Gräbern,
den Schnitzfiguren der Schreine und den Bildern
von Dürer. Grünewald. Holbein, Cornelius, Rethel,
Runge und Feuerbach aus ihrem idealen Hochgefühl
und aus den verschiedenen Erlebniskreisen der Ge-
schichte hervorgebracht hat. Heute findet man nur
selten Bilder, die ein menschliches Schicksal zum
Inhalt haben. Die menschliche Figur ist im Bilde
zu einer bloßen Lichterscheinung abgeblaßt oder zu
einem abstrakten Umriß entwertet worden. Der Por-
trätmaler kann immer jener erschöpfenden Erfassung
des Persönlichen zustreben, die zugleich eine allge-
meingültige völkische oder zeitliche Bedeutung hat.
so wie in den Bildnissen Holbeins und Tizians das
Modellmäßige durch die Kraft der malerischen Phan-
tasie überwunden und zu einem künstlerischen Aus-
druck der ganzen Zeit erhöht wurde. Der Weg vom
Individuellen zum Allgemeingültigen darf aber nicht
über die unglückselige Typisierung einer bewußten
Ausglättung und A'erschönerung gehen, sondern er-
folgt allein durch die künstlerische Auffassung, die
von der Oberfläche in die Tiefe dringt. Daß die Ver-
wendung der menschlichen Figur in der Komposi-
tion ein unerschöpfliches künstlerisches Thema ist,
braucht nicht wiederholt zu werden, aber in der letz-
ten Zeit wurden die jungen Maler auf den Kunst-
schulen viel zu wenig für diese Aufgabe vorbereitet
und nur in den seltensten Fällen wurde jener Idealis-
mus in ihnen entzündet, der für die Bewältigung
ernsthafter Aufgaben in der Kunst notwendig ist.
Der Maler darf nicht bei den Widersprüchen des
Lebens stehen bleiben, sondern muß sie überwinden
durch die Harmonie des Bildes, zu der er allein die
Kraft besitzt. Mit welchem seelenstarken Idealis-
mus bei größter persönlicher Entbehrung und gänz-
licher \ erkennung hat Arnold Böcklin aus der blin-
den Enge seiner materialistischen Zeit das Bild der
Allverbundenheit des Menschen mit der Natur her-
ausgehoben. Unter größten politischen Gefahren
und Leiden träumten und dichteten die Griechen
die Schönheit ihrer Götter und Tempel, und die
hohen Streben der gotischen Kathedralen schlössen
sich über düsterem menschlichem Elend zu den luf-
tigen Gewölben zusammen. Michelangelo hat die
himmlischen Sehnen seiner Kuppel über dem un-
gebärdigen, verzweifelten Geschlecht der Sklaven
und Gefangenen ausgespannt und Dürer mitten
aus den Wirren des Glaubens- und Bauernkrieges
heraus den ethischen Appell seiner Apostel an das
deutsche Volk gerichtet. Die Gegenwart stellt den
Maler vor eine neue geistige Verpflichtung, denn
auch er ist ein Teil des Ganzen und das Bild kann
nur aus der fruchtbaren Spannung zwischen der Be-
reitschaft des Malers und der idealen Forderung des
\ olksganzen hervorgehen.

Kunst f. Alle, Jahrg. 50, Heft 1, Oktober 1934

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