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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Christoffel, Ulrich: Holbein, Leibl und die malerische Sachlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0210

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Holbein, Leibi und die malerische Sachlichkeit. Von Ulrich Christoffei

Wo im Zusammenhang mit den Xamen Holbein und
Leibi von malerischer Sachlichkeit geredet wird, kann
es sich nicht um eine Formeinfachheit handeln, die
schon durch ein gewissenhaftes Arbeiten und Nach-
ahmen und durch ein sicheres Auge zu erzielen ist.
Es ist vielmehr jene Sachlichkeit gemeint, zu der die
deutsche Kunst nach zeitweiser Ubersteigerung des
Seelischen und Gedanklichen immer wieder wie zur
Natur selber zurückkehrt und in der die Formen in
sich selber ruhen und einer wirklichkeitsnahen Prosa
dienen wollen. Heute steht man wieder mitten in
einer Kunstentwicklung, die einer dem Dinghaften
in der Natur ergebenen Bildanschauung zustrebt.
Aber das Wort Sachlichkeit wird auf viele Arten ge-
deutet und die künstlerische Verpflichtung auf die
Naturtreue oft mit einem schlaffen, phantasielosen
Nachahmen verwechselt. Man muß die malerische
an der architektonischen Sachlichkeit messen und
erst, w enn die ruhige Glätte eines Bildes neben den
spannungsreichen, von eigenwilligen Gestaltungs-
trieben belebten Mauerflächen der romanischen Dome
oder gotischen Mauten und Hallenkirchen oder den
Wänden von Holl, Schinkel und Klenze standhält,
darf man gewiß sein, daß es sich um eine innere
schöpferische Sachlichkeit handelt. Bei Holbein und
Leibi, bei denen uns die Formsachlichkeit über die

Zeiten hinweg in so augenscheinlicher Verwandt-
schaft entgegentritt, ist die Einfachheit und Klarheit
der Zeichnung das Resultat einer komplizierten, gei-
stigen Arbeit. Vier Jahre hat Leibi an seinen Bäuerin-
nen in der Kirche gemalt und er hat sich gegenüber
der Modellwahrheit nicht die geringste Lizenz er-
laubt, aber seine Farben wirken sinnlich so erfri-
schend und verbinden sich zu so reich abgestimmten
Harmonien, als ob er das Bild aus der Phantasie in
einem Zuge gemalt hätte. Alan hat es schon als
Widerspruch empfunden, daß Leibi mit seinen her-
kulischen Kräften nur die w enigen feingemalten Bil-
der hinterlassen hat, aber seine Energie lebt in
künstlerische Arbeit übersetzt in seinen Studien und
Malereien fort, und in der ängstlichen Korrektheit
seiner Bauernköpfe steckt ein in feinste Schwingun-
gen und Grade aufgelöster, unvergleichlicher male-
rischer Idealismus und Naturglaube.
Es gibt Künstler, die bei einer sachlichen Einfach-
heit der Zeichnung anfangen, ohne sie geistig er-
rungen zu haben. Bei Holbein und Leibi aber steht
die spannungsreiche Abstraktheit mancher ihrer rei-
fem Bilder einer tonigen, lockeren, räumlichen Ma-
lerei früherer Werke gegenüber und die geschlossene
Form hat sich im Gegensatz zur offenen erst ent-
wickelt. ITolbeins Familienbild in Basel, in dem er

Hans Holbein d. J. Bildnis der Familie des Künstlers Wilhelm Leibi. Bäuerin mit Kind

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