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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Persönliche Erinnerungen an Paul Cézanne
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0284

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Persönliche Erinnerungen an Paul Cezanne

Zwei Bücher über Cezanne*), die die Erinnerungen
Ambroise Voüards an den Maler aufs glücklichste
ergänzen, sind uns die Fundgrube für die nach-
stehenden Erinnerungen. Das Buch von Gasquet ist
eigentlich viel mehr als eine Ergänzung: man darf
es das entscheidende Cezannebuch nennen, so
wie man van Goghs Briefe als das entscheidende
van Gogh-Dokument neben dem gemalten und
gezeichneten Werke bezeichnen muß. Allerdings
ist bei van Gogh Leben und Werk kaum zu
trennen, während bei Cezanne das Biographische
und alles Persönliche ganz hinter dem Werke,
gleichsam von ihm verdeckt, liegt. Die Leute in
Aix, wo Cezanne geboren ist und die meisten
Jahre lebte, wußten von Monsieur Cezanne, inso-
fern sie ihn überhaupt als einen ihrer Mitbürger
bemerkt hatten, nicht viel mehr zu sagen, als daß
er ein „Original' war . . . „un peu toque tout de
meme." Schon eher kannten ihn die Aixer Gassen-
buben, die ihm, wenn er in einer weiten Pelerine
„zum Motiv" ging, Steine nachwarfen; sie sahen
in ihm offenbar eine Art Nikolaus. Nur wenigen
gelang es, das Vertrauen des alten, vom Spießertum
seiner Vaterstadt verfemten, krankhaft schüchternen
Cezanne zu gewinnen. Einer dieser wenigen war
Joachim Gasquet. i8g6 — Cezanne war damals
57 Jahre und von der Zuckerkrankheit gequält —
traf Gasquet als junger Mensch in Begleitung seines
Vaters in einem Cafe in Aix mit Cezanne zusam-
men. Zwei Landschaften des Meisters in einer
kleinen, unbedeutenden Aixer Ausstellung hatten
ihm „die W7elt der Farben und der Linien geöffnet".
Seit einer Woche ging er einher „trunken von einer
neuen WTelt". Er geht auf Cezanne zu, stammelt
Wrorte der Bewunderung, die sogleich mit einem
fürchterlichen, zornigen Blick erwidert wurden.
Dann aber wendet sich Cezanne gütig an den jungen
Menschen : „Sie dürfen es mir nicht übelnehmen . . .
Wie kann ich glauben, daß Sie meine Malerei be-
greifen, wenn Sie zwei Bilder gesehen haben, wenn
all diese. .. die mich imitieren, keinen blauen Dunst
davon haben .. . Ach, was die mir angetan haben . . .
Der Seinte Victoire (Bild Cezannes) sticht Ihnen
hauptsächlich in die Augen. Sehen Sie mal an! Das
Bild gefällt Ihnen... Morgen wird es bei Ihnen sein...
Und ich werde es mit meinem Namen zeichnen."
Dann geht der alte Mann mit dem bewundernden
Jüngling auf die nächtlichen Boulevards und ver-
traut sich ihm an. Es ist erschütternd, schrecklich
und wunderbar zugleich, in Gasquets Buch zu
lesen, wie Cezanne plötzlich Mißtrauen schöpft,
sich verfolgt fühlt, Trennungsbriefe schreibt, bis

*)J.Gasquet, Paul Cezanne. (Deutsche Ausgabe von Elsa Glaser.
Verlag Bruno Cassirer, Berlin.

PaulCezanne: Brief e,Erinnerungen. Übertragenundheraus-
gegeben von Hans Graber. Mit 14 Tafeln. Verlag Benno Schwabe,
Basel.

endlich ihm der junge Dichter Joachim Gasquet
zum vertrauten Freund wurde. Diese Freundschaft
hat Gasquet legitimiert, das wesentlichste, persön-
lichste und das authentische Cezanne-Buch zu
schreiben. Er gibt nicht nur seine persönlichen
Erinnerungen, sondern vermittelt mit Feingefühl,
was er von dem großen Meister und dem seltsamen
Menschen weiß und gesehen hat.
Gasquet erzählt die Lebensgeschichte Cezannes, ver-
flochten mit der dichterisch schönen Schilderung
der Landschaft, der Werk und Mensch verbunden
sind. Es folgen Gasquets persönliche Erinnerungen:
drei große, wahrhaft monumentale Dialoge, in denen
er „Worte aus hundert Unterredungen, die ich mit
ihm draußen auf dem Lande, im Louvre, in seinem
Atelier geführt habe", zusammengefügt hat. Wir
geben ein Stück aus dem großen Dialog „Im Louvre"
wieder. Cezanne spricht über Courbet:

..Es gibt keinen anderen, der ihn in diesem Jahrhun-
dert ausstechen könnte. Er mag sich die Ärmel auf-
streifen , den Hutschief aufs Ohr setzen, die Vendome-
säule umstürzen, sein Pinselstrich ist dereines Klassi-
kers! . .. Seine Vision ist die der Alten geblieben . . .
Er gehört in die Museen. Seine „Komschwingerin"
in der Galerie zu Nantes, mit dem dichten Blond,
mit dem großen roten Tuch, dem Staub des Ge-
treides, dem geschlungenen Knoten im Nacken, wie
die schönsten Vernose, und der Arm, dieser milch-
weiße Arm in der Sonne, dieser pralle Arm einer
Bäuerin, blank wie ein Spülstein."
Gasquet: „Ja, ich erinnere mich . . . Courbet ist der
große Maler des Volkes."

Cezanne: ,,— und der Natur. Seine große Tat ist der
stimmungsvolle Eintritt der Natur, des Geruches der
nassen Blätter, der Mooswände des Waldes in die
Malerei des ig. Jahrhunderts, das Murmeln des Be-
gens, der Schatten des Gehölzes, das Spiel der Sonne
unter den Bäumen . . . ."

Er betrachtet über dem Triumph des Homer den
großen Kampf der Hirsche im Gehölz.
..Man sieht nichts . . . W7ie schlecht es gehängt
ist . . . Wann wird man einen Maler, einen wirk-
lichen Maler in die Direktion des Louvre hinein-
bekommen? Und wann wird man die „Demoiselles
aux bords de la Seine" hierherbringen? Wo sind
sie ?

Er schließt halb die Augen, er sieht sie.
„Da, hören Sie, kann man Tizian sagen . . . Nein.
Nein . . . Das ist Courbet. . . Bringen wir nichts
durcheinander... Diese Mädchen! Ein Schwung,
eine Breite, eine glückliche Ermattung, ein Hin-
lagern, das Manet in seinem „Frühstück " nicht ge-
geben hat.. . Die Halbhandschuhe, die Spitzen, die
gebrochene Seide des Bockes und dieses Bot . . . Wie
die Nacken schwellen, wie das Fleisch sich rundet,
selbst die Natur wird geil in ihrer Nähe . . .
Hören Sie, es ist eine Niedertracht, daß dieses Bild

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